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Drittes Buch.
Innere
ndcrnissc.
mögen, wenn die Zeit ihr nur eine grosse neue Aufgabe übertragen hätte.
Wissen wir doch, dass Kaiser Alexander Severus sogar eine Statue
Christi hatte machen lassen! Aber der Versuch musste wohl ganz ver-
einzelt bleiben. In welche Idealgestalt man ihn auch gekleidet hätte,
unwillkürlich würde dieselbe mit einem antiken Göttertvpus zusammen-
getroffen sein, man wäre an Zeus, Apollo, Asklepios notlnveiidig erinnert
worden. So wäre man also recht eigentlich in die Schlingen zurück-
gerathen, die man mit alle1' Macht vermeiden musste. Den Heiland aber
in der Gestalt zur Erscheinung zu bringen, in welcher er auf Erden ge-
wandelt hatte, scheute man nirgend so sehr als in plastischen Werken.
Wohl waren Ueberlieferungen über seine wirkliche Gestalt vorhanden.
welche sich in der Schaar der treuen Anhänger von Mund zu Munde fort-
pflanzten und liebevoll bewahrt und gepflegt wurden: je inniger aber dies
Gedenken war, desto weniger fühlte man das Bedürfniss, das im llerzen
lebende Bild greifbar in Stein zu übertragen. Und als im Laufe der Zeit
der Wunsch dennoch erwachte, Christi Gestalt in mächtigen Zügen den
Gläubigen vor Augen zu bringen, hatte die lange vernachlässigte Plastik
die Fähigkeit gänzlich verloren, solchem Verlangen zu entsprechen. Ihre
Befugnisse gingen völlig auf ihre jüngere Schwester, die Malerei, über.
Hatte die Bildnerei die Idealgestalten der antiken Götter ausgeprägt, so
sollte die Malerei nun berufen werden, die Idee des christlichen Gottes der
sinnlichen Anschauung entgegen zu bringen.
Die vollendete Schönheit des Körpers, deren Darstellung den In-
halt und das Ziel der plastischen Kunst ausmacht, war den ersten Christen
gleiehgiltig, ja wohl gar unheimlich geworden. Aus dem sinnlichen
Taumel, in welchen schliesslieli die entkräftete und geistlos gewordene
antike Welt versunken war, gab es nur eine Rettung: die Flucht aus der
Wirklichkeit, die Verleugnung der Natur. Ging diese asketische Auffas-
sung doch gelegentlich so weit, dass man sich einzureden suchte, der
Sohn Gottes sei nicht in vollendet schöner Gestalt auf Erden erschienen,
sondern habe geradezu hässliche Züge angenommen. Bei solcher Sinnes-
richtung, die den Geist auf Kosten des Körpers und im Gegensatze zu
diesem hervorhob, das Fleisch kreuzigte und dcr Schönheit den Krieg
erklärte, musste wohl die Plastik zu kurz kommen.
In der altchristlichen Kunst nehmen daher die Werke der Bildnerei
an Werth wie an Ausdehnung nur eine untergeordnete Stelle ein. Es sind
gleichsam die Ueberbleibsel von dem reichen Mahle, an welchem die an-
tike Plastik gesclnvelgt hatte, mit denen die altchristlirahe Zeit vorlieb
nehmen muss. Die Form und die teehnisrshcw Behandlung sind durchweg
die der spätrömischen Kunst; selbst die Neuheit des Inhalts erweist sich