ERSTES
KAPITEL.
Die
altchristliche
Epoche.
Das junge Christenthum erbte vom Judenthume die Scheu vor der
Bildnerkunst. Die gleiche Furcht vor den Werken der Plastik entsprang
bei ihm aus den ganz ähnlichen Verhältnissen, unter denen es iifs Leben
trat." Wie einst die Bekenner des mesaischen Gesetzes lebten die ersten
Christen inmitten einer heidnischen Welt, deren Gebahren ihnen als
eitler Aberglaube und Götzendienst erschien. „Du sollst dir kein ge-
sehnitztes Bild machen dasselbe anzubeten" dieses strenge Gebot des
alten Testamentes gewann für die neue Lehre eine verschärfte Bedeutung.
Zwar lebte der Glaube an die alten Götter längst nicht mehr in den
Herzen ihrer angeblichen Bekemier; Zweifelsueht und Frivolität hatten
ihn erstickt, phantastische Kulte des Orients wie geiles Unkraut ihn
überwuehert: aber in den Tempeln und auf den öffentlichen Plätzen stan-
den noch aufrecht die herrlichen Gebilde, welche die plastische Kunst der
Griechen seit mehr als einem halben Jahrtausend geschaffen und mit dem
unsterblichen Odem ihres Geistes und ihrer Schönheit erfüllt hatte. Was
noch von Schönheitssinn in den Herzen der Menschen geblieben war,
musste zauberiseh angezogen werden von dieser beredten Sehaai-
in Marmor und Erz gebannter Geister, die den Untergang der Welt,
welche sie geschaffen hatte, überdauerten. Wohl hatte- das junge
Christenthum Ursache, die Gewalt dieser alten Götter zu fürchten und
die Gemüther seiner Bekenner gegen das verführerische Lecken der
Schönheit durch den Panzer der Askese zu schützen.
Doch war die Plastik nicht ganz verpönt; ja selbst die Abneigung,
welche man von christlicher Seite unzweifelhaft gegen sie empfand, hätte
die erprobte Lieblingskunst der alten Welt leichten Muthes überwinden
Scheu vor
der Plastik,
Man gel 2
Aufgabe: