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Zweites Buch.
Ausdruck und von herrlicher Gewandbehandhlng. Es sind diejenigen
Werke, durch deren zufällige Ausgrabung im Anfange des 18. Jahrhun-
derts die Spuren des verschütteten Herkulanum entdeckt wurden. Ausser-
dem enthält das Museum zu Neapel eine Anzahl ebenfalls vorzüglicher
Portraitstatuen sowohl in Bronze wie in Marmor. Unter den Ersteren
sieht man mehrere Büsten von besonderer Feinheit der Arbeit und einige
zum Theil kolossale, zum Theil lcbensgrosse trefflich ausgeführte Statuen.
Von diesen tragt die ohne Grund als Augustus bezeichnete den Namen
eines athenischen Künstlers .4p0lZ0nz'0s, der sich einen Sohn des Arrahias
nennt. Unter den Marmorurerken sind allein sieben trelflichc aus der Ba-
silika von Herkulanuln stammende Statuen, welche als 'l'öcl1ter der Familie
Balbus bezeichnet werden. In Herkulanum wurden auch die Reiterbilder
der beiden M. Nonius Balbus des älteren und des jüngeren gefunden,
Werke, die durch Adel und Einfachheit an den Geist griechischer Kunst
erinnern. Auf die zahlreichen, oft vortrefflichen Statuen und Büsten der
Kaiser und Kaiserinnen dieser Epoche, so gross ihr künstlerisches und
historisches Interesse auch ist, vermögen wir hier nicht naher einzu-
gehen. Als Beispiel der geistvollen und lebenswahren Auflassung geben
wir aus der reichhaltigen Sammlung des Capitols die Büste des Galbzi,
(Fig. 104); als Muster der Idealportraits von Kaiserinnen, die sieh am
liebsten als Juno darstellen liessen, die grossartige Statue desselben Mu-
seums, deren sehöneBewegung und feierliche Würde wohl auf cin grie-
chisches Original zurückweisen, während die Haltung der Arme einer
modernen Restauration angehört (Fig. 105).
Ihre vollste Eigenthümlichkeit erreicht die römische Sculptur bei der
Aussehmückung der immer massenhafter und reicher ausgeführten Ehren-
denkmale der Kaiser. Das Wenige, was von dieser Pracht übrig geblie-
ben ist, bietet uns einige Anhaltspunkte zur Charakteristik dar. Es sind
theils historische Darstellungen, die das Leben, die Thaten, die Triumphe
der Casaren verherrlichen, theils Bildwerke allegorisch-mythologischer
Art, welche mit-dem Apparat einer reichhaltigen personificirenden Sy1n-
bolik jenen realistischen Schilderungen zu Hülfe kommen. Die eigentlich
römische Kunst des despotischen Oasarenthums trifft hier in der Tendenz
wunderbar zusammen mit dem, was einst die altorientalische Plastik in
v den Bildwcrken Aegyptens und Assyriens zu Verherrlichung ihrer Gewalt-
haber geleistet hat. Dieselbe Ausführlichkeit, dieselbe ehronikartigc
Treue, dieselbe realistische Umstandlichkeit der Erzählung; nur dass
über der römischen Plastik ein Hauch griechischer Schönheit schwebt,
der die Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit der Darstellung zur Anmuth
verklärt. Aber das Grundgesetz "griechischer Reliefbildung, welches eine