Drittes Kapitel.
Die Bildnerei bei den Etruskern.
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den Hauch griechischen Formgefühles vcrrathen, bleibt doch der Geist der
Schilderung jener realistisch verständige der älteren orientalischen Kunst.
Der tiefere Grund dieser Erscheinung liegt im Charakter des Volkes.
Die Etrusker scheinen zwar Elemente eines nordischen Stammes in sich
aufgenommen zu haben; doch spricht Vieles in ihrer ältesten Kultur zu-
gleich dafür, dass der Kern dieses noch immer rathselhaften Volkes ein
Zweig jenes grossen pelasgischen Stammes war, dem auch die Griechen
angehörten. Während nun die Etrusker in reger Handelsthatigläeit, leb-
hafter Schifffahrt und einem vielseitig entwickelten Gewerbtleisse den
Griechen ebenbürtig waren, mangelte ihnen jener höhere Sinn, der eine
ideale Kunst hervorbringt. Selbst der düstere Aberglauben ihrer reli-
giösen Vorstellungen, der so weit abstand von dem klaren, liehtvollen
Knltus der Griechen, hinderte eine freiere Entfaltung der Kunst. Beweis
dafür, dass sie diesen Mangel empfanden, ist dass sie von den Griechen
nicht allein die Götter mit allen ihren Mythen in ihre Kunstwelt aufnah-
men, sondern sich sogar die nationalen Heldensagen derselben, namentlich
die vom Zuge gegen 'l"r0_ja, aneigneten. Allein was in solcher A1't entlehnt
wird, kann nie völlig geistiges liligenthum werden. So behält denn auch
das Beste der etruskisehen Kunst das Gepräge eines gewissen Schwan-
kens, dem sich eine unwillkürliche Uebertreibung 'der Formen beigesellt.
Daher hat die etrnskisehe Kunst mehr Manier als Styl. Man fühlt ihren
Werken an, dass sie nicht aus der Begeisterung für ein Ideal, sondern
aus verständiger Berechnung äusserer Zwecke und aus gewandter Nach-
ahmung hervorgegangen sind. Ihren Tempelbailten wird von den Alten
kein günstiges Zeugniss gegeben; aber schon in früher Zeit sind sie
Meister in kühnen Damm- und Kanalanlagen, in jeder Art des Wasser-
baues. Sodann werden sie gerühmt in allen mehr technischen Dingen;
ihre kunstreiehen Kandelaber, Spiegel, Tloilettenkastehen, ihre ge-
schmackvollen und kostbaren Schmucksachen werden hoch gepriesen.
Allein selbst in diesen Dingen ist, was Erfindung und Form betrifft, das
Beste aus fremden Ideen erwachsen.
Der Volks-
chmaktcr.
Nichts vielleicht bietet ein so klares Bild von den verschiedenen
Einflüssen, die in der etruskischen Kunst maassgelaend gewesen sind, als
eine Betrachtung der Geräthe, Gefässe und des Erstere sind
meist aus Bronze, in meisterlieher Technik durchgeführt; letztere stützen
sich vor Allem auf eine virtuosenhafte Verarbeitung des Goldes bis in die
feinsten Blättchen, die zartesten Filigranfiiden. Viele von den schönen
Prachtstüeken, welche das gregorianische Museum des Vatican besitztt),
Geriith und
Schmuck
i) Vergl. das Prachtwork: Musei Etrusci monumental (Roman 1842. 2 Bde F01.)
wo Tom. I. Taif. 11. 16. 17. 64 u. a. Beispiele orientalischen Einflusses geben.