212
Buch.
Zweites
Vorstellung zu geben. Denn es unterliegt keinem Zweifel mehr, dass wir
in derselben eine Originalarbeit der pergamenischen Schule besitzen. Es
ist ein Gallier, der beim siegreichen Nahen des Feindes, nachdem keine
Aussicht auf Rettung mehr geblieben, sich das breite Schlaehtschwert in
die Brust gestossen hat, um schimpflieher Knechtschaft zu entgehen. Er"
hat sich, wie es einem tapfren Krieger ziemt, auf seinen grossen Schild
gebettet; das zerbrochene Sehlaehthorn liegt unter ihm, und das breite
Schwert ist seiner Hand entfallen, naehdeln es ihm den letzten Liebes-
dienst erzeigt. Schtver sinkt der Kopf des Sterbenden nach vorn, während
die aufgestützte rechte Hand nur mühsam noch den zusammenbreehenden
Körper aufrecht hält. Das Auge umsehleiern schon die Schatten des
Todes, die breite Stirn ist sehmerzgefureht, und den Lippen entflieht ein
Seufzer.
Sogenannte
"Arria und
Paetus."
S0 ist in e1'selnitte1'ndei' Wahrheit die grausame Notlwvendigkeit des
Sterbens ausgedrückt, aber sie wird uns nicht durch heroischen Auf-
schwung der Seele des Helden geadelt, sondern der Künstler lasst uns
den bittren Kelch bis zur Neige leeren, indem er uns unerbittlich an (las
gemeinsame Mensehenloos mahnt. Die griechische Plastik ist hier beim
entschiedenen Realismus angelangt und giebt in meisterhafter Bestimmtheit
die Gestalt als die eines Barbaren zu erkennen. Der Körper ist nicht der
edel gebaute, harmonisch durchgebildete eines Griechen, sondern der
unter rauhem nordischen Himmel geborne eines Galliers; dafür zeugt die
herbe Scharfe des Gliedergefuges, die derbe, selbst sehwielige Textur der
Haut, der unzweifelhafte Racentypus des Kopfes sammt dem in festen
Büscheln struppig abstehenden und bis in den breiten Nacken hinab-
wachsenden Haare; dafür endlich der gewundene Halsring (torques), ein
Schmuck, der häufig in keltischen Gräbern gefunden wird. Man muss das
Trockne, Wettergehärtete der Haut, die kleinen lederartigen Falten an
den Gelenken, die harte Hand und die sehwieligen Fusssohlen genau
beobachten, um sich zu überzeugen, mit welcher Kraft realistischer Indi-
vidualisirung der Künstler hier verfahren ist. Dieser Realismus steht aber
im Dienst einer geschichtlichen Auffassung, die uns eine ergreifende Einzel-
seene aus den Gallierschlaehten verführt.
Von derselben Herkunft scheint die Gruppe der Villa Ludovisi zu
Rom, welche unter dem irrigen Namen „Arria und Paetus" bekannt ist.
(Fig. 89.) Gleiche Ausführung in demselben lllarlnor, ja sogar die ähnliche
Behandlung der Basis, und mehr noch die Uebereinstimmung des geistigen
Gehaltes weisen ihr diesen Platz an. Es ist eine andere Scene aus jenen
(lallierkämpfen, aber erfüllt von einer lei(lensehaftlieheren Bewegung,
einem machtigeren Pathos. Die Feinde sind offenbar ganz nahe, die (iefahr