Einleit:
Dennoch sucht sie bald auf dem verlernen Gebiet ein bescheidenes 13x10
Plätzchen wieder zu gevsinnen. Sie kann es nur erreichen, indem sie auf
ihre eigentlichsten Aufgaben verzichtet. So fügt sie sich denn dem neuen
Geiste, löscht die Erinnerung an die vollendete Schönheit menschlicher
Form aus dem Gedachtniss und schreibt die geistige Bedeutung
des Individuums, den Ausdruck der freigewordenen, erlösten
Seele in ihr Programm. Es ist die selbstverleugnende Dcmuth, welche
das Christenthum von Allen, auch [von der Plastik verlangt. Und diese
Thatl der lüntsagung belohnt sich; sie bringt der Bildnerci ein zweites"
Leben, neue nie geahntc Früchte. Im Kampfe mit der Ungunst der Zeiten
und der geistigen Anschauung, in noch gefährlichercin W etteifer mit der
begünstigten, glänzend erblühten Sclnvester, der hIalerci, erstarkt sie all-
mählich zu erfolgreicher Thätigkeit. Treu und geduldig strebt sie, in
ihrem so viel ungünstigeren Materiale das Geistige, das Individuelle, das
Seelenleben zu gestalten. Mit energischer Hand gräbt sie dem hlarinor,
prägt sie dem Erz die volle Schärfe charakteristischen Sondcrwescns ein,
wie die neue Weltordnung hervortrcibt, unendlich mannichfatch und
wechselnd. Sie überwindet selbst ihre atngcborne Scheu vor dem Un-
schönen und weiss sogar dem IIässlichen (lurch entschlossene Bchandlmig
den Stempel des geistig Berleutenden, persönlich Anziehcndcn zu geben.
Es kann nicht fehlen, dass sie auf dieser schmalen Bahn manchmal die Qglrggiiril-[Jigs
Grenzen überschreitet, dass sie, in dem nothgedrungencn NVetteifer mit
der Malerei, in das Gebiet der Schwestcrkunst übergreift und mehr mit '
malerischen als mit plastischen Mitteln zu wirken sucht. Es giebt Epochen,
wo eine völlige Verkennung ihrer Grenzen sie zu äussersten Ausschrei-
tungen verleitet; wo sie in wilder Anarchie mit dem Meissel malt und dem
geduldigen Steine die Ausgebmten einer unplastisch gewordenen Phantasie
aufzwingt. Man wird sie mehr bedauern als verklagen. Aus ihrer _Heiniath
verbannt, mag sie nm' mühsam sich der alten Gesetze erinnerniii einer
Welt, welche die alten Götter nicht meln- kennt und in neuen Lebensformen
und Gestaltungen ihr Genügen findet.
Dennoch gewinnt auch nach solchen Verirrungen, nach solchen Erneuerung"
krankhaften Fieberträumen die Plastik durch strenge Zucht die Gesund- im Plastik.
heit wieder. Sie besinnt sich der alten Gesetze, die einstmals ihre Richt-
schnur waren. Die schönhciterfüllten Gestalten "der griechischenGöttcr
werden wieder an's Tageslicht gezogen, "ein Gegenstand der Bewunderung,
der Verehnuig, des Studimns. Aus ihnen strömt der Bildnerci Gesundheit
und Klarheit zu, und indem sie ihren ileuen Werken einen Abglanz jener
ewigen Schönheit verleiht, indem sie der scharf ausgcpritgtcn Form des
charakteristisch Besonderen den Hauch des Idealen, Unvergänglichen