194
Zweites
Buch.
spricht am deutlichsten die Wandlung der Zeiten, denn was man früher
objeetiv aus dem idealen Wesen der Aufgabe zu entwickeln suchte, das
wird jetzt zum Gegenstande der subjeetiven Phantasie des Künstlers. Ob
das Original dieses Werkes aus Erz oder Marmor gewesen, wissen wir
nicht, da Eutyehides in beiden Gattungen der Technik thatig war. Da-
gegen hatte er den Flussgott Eurotas aus Erz gebildet, und zwar mit so
lebensvoller Charakteristik, dass ein Epigramm die Statue "flüssiger als
Wasser" nennt.
Chares.
Andre
Schulen.
Thcbanisch
Künstler.
Der berühmteste Künstler aus der Schule des Lysippos war Charcs
aus Lindos, der für die Fortentwieklung der Plastik dadurch von Be-
deutimg mirde, dass er die sikyonische Kunst nach seiner Ileimath
Rhodos verpflanzte. Seine Meisterschaft bestand, nach dem Vorgangc
des Lysippos, in Herstellung von kolossalen Werken. Weltberühmt war
seine Statue des Sonnengottes zu Rhodos, an welcher er zwölf Jahre ge-
arbeitet haben soll. Sie war 105 Fuss hoch und erregte noch als sie
sechsundseehszig Jahre nach ihrer etwa 291 v. Chr. erfolgten Aufstelhmg
durch ein Erdbeben zertrümmert werden war, die staunende Beivunderung
der Besehauer. "Wlenige sind," sagt Plinius, "im Stande, den Daumen
mit den Armen zu umspannen, und die Finger allein sind grösser als die
meisten Statuen." In solchem Streben nach Kolosszilitat, die nicht mehr
durch Macht des geistigen Ausdrucks aufgewogen wird, (lürfen wir eine
gefährliche Richtung der Kunst nicht verkennen.
Ausser Athen und Sikyon erblühten selbständige Kunstschulen in
dieser ldpoche in den durch die politischen Verhältnisse zu vorübergehen-
der Bedeutung sich erhebenden Staaten Messene und Theben. Messene
hat in Damoplzon einen bedeutenden Künstler aufzuweisen, der um so
merkwürdiger ist, da er sich in seinem Schaffen den Bestrebungen der
pelopomlesischen Kunst völlig cntgegenstellt. Ausschliesslieher als irgend
ein anderer Plastiker Griechenlands geht er in Götterdarstellungen auf,
deren eine grosse Anzahl ihm beigelegt werden. Damit hängt es zusam-
men, dass er gar nicht als Erzgiesser, sondern nur als Marmorbildner be-
kannt ist. Mehrmals arbeitete er auch Akrolithe, zum Theil von kolossa-
1er Grösse, so dass er in manniehfaeher Beziehung einer älteren Kunst-
richtung zu huldigen scheint. Dass auch die Goldelfenbeinteehnik ihm
nicht unbekannt war, bewies er durch Wiederhersßllung des aus den
Fugen gewiehenen olympischen Zeus von PhidiätS-
In Theben ist eine Reihe von tüchtigen Bildhauern thätig, deren
Richtung sich der von der sikyonischen Schule begründeten ansehliesst.
Unter ihnen darf man die beiden Meister Hypatorloros- und Arzlvlngeiton
als hervorragende Künstler betrachten wegen einer umfangreichen