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Zweites Buch.
die Mannichfailtigkeit seiner Arbeiten bedeutend und liefert den Beweis
fiir die Beweglichkeit seiner Erfindungsgabe.
Obwohl Götterdarstellungen ausserhalb einer solchen Richtung zu
liegen scheinen, wird uns doch von mehreren Götterstatueil Lysiplfs be-
richtet. Viermal hatte er den Zeus zu bilden, und darunter befand sich
der sechzig Fuss hohe Erzkoloss zu 'I'a1'ent. Ausserdem schuf er einen
Poseidon für Korinth und einen Helios mit seinem Wagen für Ithotlos,
der, als er naehmals auf Nerds Befehl vergoldet wurde, viel von seiner
Wirkung verlor und erst nach Entfernung des Goldes seine vorige Schön-
heit wieder behauptete. Charakteristischer für Iiysippos erscheint es,
dass er eine Darstellung des Kairos, des "günstigen Augenblicks" ver-
suchte, ein Werk, aus dessen Beschreibung uns zum ersten Mal im Ver-
laufe der griechischen Kunstgeschichte die nüchtern zusammengeklanlatez
Gestalt einer wirklichen Allegorie anfröstelt.
Steht Lysippos in reinen Idealgestaltcn nicht schöpferisch da, "so
darf man dagegen die Ausbildung und Vollendung des Heraklestypus un-
bedenklich ihm zuschreiben. Der Heros, dessen Wesen die höchste Dar-
legung körperlicher Kraft bedingt, musste einer naturalistischen Kunst-
richtung gleichsam als Spitze dessen gelten, was ihr nach der idealen
Seite hin zu erreichen beschieden war. Auch in diesem Darstellungskreise
treffen wir ein Kolossalwerk, und zwar wieder in Tarent eine Erzstzttue.
welche durch Fabius Blaximus nach Rom gebracht, später nach Uonstan-
tinopel gelangte, wo im Jahre 1202 die Kreuzfahrer sie einsclnnolzen.
Der Held sass, wattenlos und über sein Geschick trauernd, auf einem von
der Lüwenhaut bedeckten Kerbe. Der rechte Arm und das rechte Bein
waren ausgestreckt, das linke Bein gebogen, und auf den Schenkel stützte
sich der linke Ellenbogen, so dass der in schwermiitlliges Nachsinnen
versunkene Kopf in der IIand ruhte. "Die Gestalt" xiar nervig und mus-
kulös, Brust und Schultern breit, die Arme wuchtig, das Ilaar kurz und
(licht. Ein anderer Herakles desselben Meisters war allem Anschein
nach ebenfalls sitzend (lau-gestellt; Amor hatte ihm die Waffen geraubt,
was auf einen verliebten Herakles deutet. Hoehgeschittzt war sodann ein
kleiner Herakles Epitrapezios, d. h. ein Tafelaufsatz, kaum einen Fuss
hoch. In der einen Hand die Keule, in der andern haltend,
den Blick nach oben gerichtet, sass er auf einem FGlSlJlOCk. Ausscrdtem
schuf Lysippos die Arbeiten des Ilerakles, Coinpositioneu, ven denen wir
in manchen späteren Relief bildern wahrscheinlich Nzltfllällllllllllgßll besitzen.
Vorzüglichc Bedeutung hat aber Lysippos als Portraitbildner. Er
schuf nicht blos eine Anzahl von Siegerstatuen für Qtylnpia, sondern, was
für seine Itivhtung noch bc-zeiehnendesr ist, er gestaltete mehrfach bei