Zweites Kapitel.
Die griechische Plastik.
Geschichtliche Entwicklung.
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der durch mächtigstes Aussehreiten einer ihm heftig zusetzenden Gegnerin
ausxreitiht und zugleich in der Vertheidigung auf einen günstigen hloment
zum Angriff lauert: kühner als diese und manche andre auf den schon
bekannten Tafeln geschilderte Scenen (Fig. 77) sind selbst die Gruppen
von Phigalia nicht.
Fragt man nun nach der Ausführung dieser Werke, so ist dieselbe,
soweit der zerstörte Zustand die Beurtheilung gestattet, wieder nicht von
gleichem Werthe; doch sind die Verschiedenheiten nicht solcher Art, daSS
(laraus die Znsannnengehörigkeit, oder gar die Gleichzeitigkeit der einzelnen
Theile zu bestreiten wäre. Vielmehr erkennt man bald die weiche, elegante,
doch schon stark auf den Effekt hinarbeitende Richtung, welche sich
selbst in den attisehen Werken vom Ausgang der vorigen Epoche,
namentlich in den Balustradenrcliefs vom Niketempel bereits aussprach.
Charakteristisch dafür erscheint vor allem die etwas versclnvenderiselle
Benutzung Hatttermler Gewänder und die Art des Faltenwurfs, die immer
jene zierlich reiche und weiche, flüssig bewegte der attisehen Schule,
keineswegs die hastige, scharfe der phigzilisehen Werke ist. Ja, grade
die Fülle an Motiven einer 1'eize1ule11, schön g1eselnvu11gene11, fein durch-
gcbildeteil und innner den lebhafteren Bewegungen der Körper ent-
sprechenden Gewandung ist ein achtes Zeugniss für attisehe lilntstehung
dieser Reliefs. Anders verhalt es sich mit einer Anzahl von Zeichen-
fehlern, die besonders da sich auffallend hol-verdrängen, wo es gilt, beide
Beine der zu Ross Llahersprengcnden Gestalten zu zeigen. In diesen
Fallen ist mehrfach das jenseitige Bein viel zu lang gerathen. Theils
mögen das Flüehtigkeitsfehler sein; grösstentheils mag aber der hohe
Standpunkt, den die Reliefs (einzunehmen hatten, (liese perspektivischen
TTnriehtigkeiten ebenso veranlasst haben, wie sich Aehnliehes an den
Figuren der phigalisehen Friese nachweisen lässt. Allerdings sind wir
schuldig hinzuzufügen, dass die Verstösse zu I-Ialikzirnass viel augen-
falliger, viel stärker herxiortretcn als an jenen früheren Wierken.
Aber ist dies Alles wirklich genügend, den Reliefs die Ehre ab-
zusprechen, zum berühmten Mausoleum gehört zu haben? mit andern
Worten, zu behaupten, dass sie nicht von Skopas und seinen Genossen
herrühren können? Wir wissen allerdings, dass dieser grosse Meister an
der Ostseite des Mausoleums arbeitete, dass Bryaxis die nördliche, Timo-
theos die südliche, Leochares die westliche Seite mit Bildwcrken schmück-
ten. Wenn unter diesen Künstlern Leochares als der einzige bedeuteudere
bekannt ist, so darf doch gefolgert werden, dass auch die übrigen nicht
llnwertli gewesen sein müssen, neben einem Skopas zu arbeiten. Da
ferner Skopas der berühmteste von allen war und langst im Zenith seiner