itel.
Zweites Kap
Die griechische Plastik.
Geschichtliche Entwicklung.
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Passivität dieser Gestalten mit den Weich hingegossenen Stellungen etwas
Bczeiehnendes finden. Daher sind sie alle mehr in leicht schwebender
Bewegung als in fester Haltung aufgefasst. "Diese aninuthigen Geschöpfe
eines fein organisirten Künstlergeistes sind nicht zu energischem Han-
deln, zu straifem Auftreten da. Daher gebrauchte der Meister stets bei
ihnen, wie auch bei seiner Venus, als Hauptmotiv der Stellung jene von
Polyklet zuerst angewandte schwebende Ruhe auf einem Schenkel, die
von einer rhythmischen Bewegung umspielt wird. Dass die technische
Ausführung in allen seinen Werken von musterhafter Vollendung und vom
höchsten Reiz einer weich verschmolzenen Behandlung war, ist so selbst-
verständlich, dass es nieht erst versichert zu werden braucht.
Als Schüler des Pl-axjteles, ja als „Erbeii seiner Kunst" werden
seine Söhne Kepleisodot und Tinzarclios genannt. Sie arbeiteten mehrere
Werke gemeinsam, darunter namentlich Port-raitstatuen, die fortan iniiner
häufiger zum Schmuck des prunkv0llei' gewordenenVPrivatlebens begehrt
wurden. Kcphisodol, der jüngere (iieses Namens, erscheint Jedoch als der
ungleich bedeutender-e von Beiden. Er war in der Erzplastik wie in der
ÄIQTIIIOYÄYbGiÜ vortrefflich, ja von einem seiner Marmorwerke, einer eroti-
schen Gruppe (Syniplegnia) in Pergamos, die als das berühmteste aller
derartigen Werke gepriesen wurde, erfahren wir durch Plinius, dass die
Finger der einen Person dein Körper der andern so eingedrückt waren,
wie in lebendiges Fleisch, nicht wie in Marmor. Dies bezeugt eine sehen
stark ins Raffinenient ausarteiide Riehtune wie auch der ü i e Charakter
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des Werkes eine Uebertreibung" der bei Praxiteles noch rein und ab-
siclitslos auftretenden sinnlichen Schönheit ist. Doch sehuf Kephisodot
auch Werke ernsteren Gehaltes, Statuen von Göttern und Heroen, so" dass
wir uns hüten müssen, seine Kunstrichtung allein aus jenem pergameni-
sehen Symplegnia zu beurtheilen.
Schule
Praxitz
Hierher mögen noch einigel andere Meister eingereiht werden, die aus
der grossen Anzahl blos dem Namen nach bekannter Künstler bedeut-
samer hervortreten. Zunächst Silanion, der Portraitgestalten durch cha-
raktervolle Auffassung selbst gelegentlich ins Pathetisehe zu steigern
wusste, wie jenen Bildhauer Apollodoros, der nie mit seinen Arbeiten zu-
frieden war und deshalb von Silanion so dargestellt wurde, dass man von
dem Portrait sagte, es bezeichne nicht sowohl einen Menschen als viel-
mehr den Zornrnuth. Von der sterbenden Iokaste desselben Künstlers
wird erwähnt, 61" habe (lem Erz für das Antlitz Silber zugesetzt, um
dadurch das lürbleich-en des Todes zu schildern: eine etvxias unwahrschein-
liche Anekdote, die aber doch eine allgemeine Wahrheit für die Bezeich-