Zweites Kapitel.
Die griechische Plastik.
Geschichtliche Entwicklung.
165
schreitend mit dem rechten Fusse nur noch eben an der Spitze den
Boden. Dieselbe elastisch bewegte Stellung hat eine herrliche Marmor-
statue des Britischen Museums, von edelster griechischer Arbeit, die
jedoch beide Arme, den rechten Fuss und den Kopf verloren hat.
Dagegen zeigt der bei Centoeelle gefundene Erostorso des Vatlcail
(Fig. 70) in dem anmuthigen, zart geneigten, von süss traumerlsclier
Stimmung leise umllorten Kopfe jenen Ausdruck schwärmerischer Em-
ptindung, in welcher dem Knaben beim [lebergangc zum Jünglingsalter
die erste Ahnung der Liebe aufdammert.
Auch Dionysos scheint durch Praxiteles eine neue Gestalt erhalten
zu haben, die wir uns ohne Zweifel als die des jugendlichen, begeister-
ten Gottes denken müssen. Eins dieser Bilder sah man in einem Tempel
zu Elis; ein anderes, in einem Haine aufgestelltes, wird geschildert als
jugendlich weiche, epheubekränzte, mit dem Rehfell umgürtete, die Linke
auf den Thyrsos stützende Gestalt. Ein dritter war mit dem Satyr
Staphylos und Methe zu einer Gruppe verbunden. Sodann hatte er einen
Satyr selbständig dargestellt als Knaben, der den Becher darreicht.
Dieser stand in der Dreifussstrasse zu Athen und ist wohl derselbe, der
"periboetos" genannt und vom Meister selbst als sein vollendetstes Werk
bezeichnet wurde. Ein anderer Satyr, im Dionysostempel zu Megara,
wird uns wahrscheinlich durch eine treffliehe Marmornaclibiltlung im
Capitol zu Rom vergegenwärtigt. Der jugendlich weiche, schlanke
Körper stützt sich mit dem rechten Arme, der die Flöte hält, auf einen
Baumstamm, während der linke Arm nachlässig in die Seite gestemmt
ist. So drückt die ganze Haltung jene weiche Selbstvergessenheit aus,
die uns in der Waldeinsamkeit, am rieselnden Bache beschleicht, und
dazu stimmt vortrefflich das offene Gesicht, in welchem die thierisehe
Bildung aufs Glücklichste in heitre naive Schalkheit der Jugend umge-
wandelt ist und nur in den Ohren deutlicher anklingt.
Dieselbe jugendliche Anmuth, dieselbe weiche Geschmeidigkeit zeigte
auch die Erzstatue eines Apollo, der als Sauroktonos (Eidechsentödter)
mit dem Pfeile einem dieser zierlichen zu ihm heranlaufentlen Thicrchen
auflaueirte. Da wir mehrere Nachbildungen dieses Werkes in Marmor
und Erz besitzen (Fig. 71), so vermögen wir uns von demselben eine
ziemlich genaue Vorstellung zu machen. Der noch ganz jugendliche
Gott lehnt mit dem linken Arme vorgebeugt an einem Baumstamme, an
welchem man die Eidechse hinauflarlfen sieht; die rechte, ungeschickt
restaurirte Hand müsste den Pfeil halten. Hier hat der Künstler von
dem Umstande, dass die Eidechse als Weissagethiei- zum Gotte der
Weissavgung in einer Kultusbeziehung steht, zu einer bloss spielenden
Diouysns-
Statuen.
Apollo Sau
rnktonos.