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Zweites Buch.
Gegenständen grosse hlannichfaltigkeit verrathen. Denn wenn er auch
gleich Skopas den Götterbildern, und unter diesen den jugeiulljelien und
weiblichen Gestalten sich mit Vorliebe zuwandte, wenn sogar von ihm
feststeht, dass er mehreren Göttern, wie dem Apollo und Dionysos, eine
jugendliche Gestalt gab, so schloss er doch keine einzige der zwölf
grossen Gottheiten des Olympos von seiner Darstellung aus, und wusste
auch die grossartigeren und ernsteren Charaktere des Poseiden, der Hera,
Demeter und Athene würdig aufzufassen. Am liebsten freilich schilderte
er die weiche Anmuth zartaufblühender Jugend, und auch diese be-
lauschte er gern in der süssen, träumerisch versunkenen Schwärmerei,
welche die Grundstimmung eines poetisch erregten jugendlichen Gemüthes
ist. iDoch fehlt es unter seinen zahlreichen Werken auch nicht an sol-
chen, die wie die rasenden Mänaden und Silene, oder die Erzgruppc
vom Raube der Persephone enthusiastische und leidenschaftlich gewalt-
same Scenen in hoher Meisterschaft vorführten.
[er der
rodite.
Unter seinen Götterbildern nehmen Aphrodite lllld Eros den ersten
Platz ein. Aphrodite hatte er fünf Mal gebildet, am vorzüglichstcn nach
gemeinsamem Urtheile des Alterthunis
in der weltberühmten Aphrodite von
am Knidos. Man darf vielleicht sagen,
x dass dieses Werk für seine Zeit un-
KV v? gefähr dieselbe Bedeutung hatte, wie
ä v2, der olympische Zeus des Phidias für
M die vorhergehende Epoche. Wie jener
L die höchste Erhabcnheit, so vertritt
1 diese die höchste Holdseligkeit unter
den Göttergestalten der Griechen. Wie
_ jener die höchste Bewunderung, so war
diese das höchste Entzücken des ge-
Fig 68 Kmdische Münm sammten Alterthums. Um sie zu sehen,
scheute man nicht die Reise nach Knidos,
und die Knidier selbst schätzten sie so
hoch, dass König Nikomedes von Bithynien ihnen vergebens anbot, für
diese eine Statue ihre gesammten Staatsschulden zu bezahlen. Von der
Gesammterseheinung des Bildes geben uns Knidisehe Münzen (Fig. 68) eine
Anschauung. Die Göttin stand in einem kapellenartigen Einbau, der von
beiden Seiten zugänglich war, um eine umfassendere Betrachtung des
Werkes zu gestatten. Wie Skopas hatte auch Praxiteles sie völlig unbe-
kleidet dargestellt, um die Göttin der Schönheit in der vollcnfracht
des blühenden Körpers zu zeigen; aber er hatte diese immer noch