Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

Zweites Kapitel. 
Die griechische Plastik. 
Geschichtliche Entwicklung. 
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sich Flöten- und Kitharspieler an, die einem Zuge von Männern und von 
Vicrgespanncn, vermuthlieh den Bewerbern in den musischen und gym- 
nisehen wie in den Wettkämpfen zu Wagen, voransehreitcil. Den Schluss 
beider Langseiten bilden die herrlichen Gruppen der berittenen atheni- 
sehen Jünglinge (Fig. 55), und an der Westseite endlich sieht man andere 
noch in Vorbereitungen, im Aufzüumen, Bandigen und Besteigen der 
Pferde beschäftigt (Fig. 56).  
Es würde ein vergebliches Beginnen sein, die wahrhaft unermess- 
liche Fülle von Schönheit auch l11l1' anzudeuten, die in dieser herrlichsten 
aller Friescompositionen zu Tage liegt. Bedenken wir aber, wie monoton 
solche Prozessionen von der orientalischen Kunst dargestellt werden, 
und vergleichen wir damit die unersehöpiiiche Kraft der Phantasie, die 
lilannichfaltigkeit, das reizend bewegte Leben, den Wechsel von ruhiger 
Anmuth, feierlicher Wlürde, frischer Lebendigkeit iuid sprühender, geist- 
voller Bewegung, die in den unzähligen Gestalten dieses Frieses vor uns 
hintreten, so erkennen wir, dass nur dem grössten Meister einer völlig 
frei gewordenen Kunst solch Werk gelingen konnte, und auch nur da 
gelingen konnte, WO ein in Schönheit heranblüheildes, von (ler Freiheit 
erzogenes, in edler Sitte und Bildung glänzendes Volk wie das athenisehe 
jener Zeit sich dem Künstlerauge als schönster Stoff darbot. So ist denn 
Alles so schlicht, einfach natürlich, so heiter lebendig, dass man in die 
Strassen und die Plätze des (lamaligen Athens sich versetzt glauben 
möchte; aber zugleich ruht auf allen Gestalten der Zauber einer hohen 
Festfreude und der verklärende Abglanz von der Gegenwart der Götter. 
Betrachten wir nur zunächst die Gruppe der letzteren, wie sie auf ihren 
Sesseln an'der Ostseite des Zuges harren (Fig. 57): sie sind zwanglos, 
in behaglicher Ruhe hingegossen, in den reizendsten, natürlichsten Stel- 
lungen, wie die auf die Armlehne des Thrones gestützte Gestalt des 
Zeus, dem Hera eben ihr Antlitz entsehleiert; oder wie der neben Demeter 
sitzende schöne Jüngling, der das rechte heraufgezogene Knie mit beiden 
Händen in leise schaukelndei- Stellung umspannt; oder auch wie jenes 
jugendliche Paar, das traulich Schulter an Schulter lehnt. Aber welch 
ein Adel, welche stille Hoheit ist doch über diese Gestalten ausgegossen! 
Ueberall hat der Künstler die mannichfziehste Naturbeobzichtung zu Hülfe 
genommen, und in der Ungezximngenheit, "leichten Anmuth und Sicherheit 
der Stellungen jene Göttergruppe des 'l'heseustempelsiweit übertroffen: 
doch hebt seine grosse Auffassung selbst das unscheinbarste Motiv all- 
täglichen Lebens in die Sphäre hoher Idealität. Dasselbe gilt von allen 
Gruppen dieser grossen Friescomposition, und man braucht nur die Züge 
der langsam und sittig daherschreitenden Jungfrauen zu betrachten, um 
Künstleri- 
sche B edeu- 
tung des 
Fricses.
	        
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