Zweites Kapitel.
Die griechische Plastik.
Geschichtliche Entwicklung.
131
Composition bewegt- sich aber in gleicher Weise so, dass ein synlmetriseh
rhythmisches Gesetz die Gruppen auf beiden Seiten beherrscht, ohne
irgend die Freiheit der Bewegungen zu hindern. Vielmehr entfaltet sich
auch hier ein frisch angespanntes Kampfestreiben, voll energischer,
kühner Situationen, und nur in einer etwas monotonen Wiederholung der
selben Kentaurtenstellung lasst sich die architektonische Fessel leise
erkennen. Das Relief tritt kräftig heraus und entspricht der lebensvollen
Frische, welche diese herrlichen Gompositionen (lurehdringt.
In naher Verwandtschzift mit den Werken des 'I'heseion stehen die
Friesreliefs des kleinen ionisehen Tempels der Athena Nike, oder der
N ike Apteros (der ungeiiügelteil Siegesgöttin), der auf hoher Terrasse
hart über dem Aufgange zur Akropolis schwebt und die Stirnseite der
südlichen Biu-gmauel- absehliesst. Wie dieser Theil der Mauer, so scheint
auch das kleine Tclnpelehen unter Kimon erbaut zu seinit) Seine Fries-
sculpttu-en enthalten in kräftig behandeltem Relief an der Vorderseite
eine Versammlung von stehenden und sitzenden Göttern, edle Gestalten,
die aber zu stark zerstört sind, um eine Deutung zuzulassen. Die südliche
und die nördliche Laugseitc zeigen Kämpfe von (ltricchen gegen Reiter in
barbarisel1c1' Kleidung, namentlich in Hosen, und an der Westseite sieht
man Kämpfe von (iricchen gegen Griechen. Wir haben also mit der
Darstellung einer Schlatirht zu thun, in welcher Griechen, mit Persern
verbunden, gegen die Athener laämläften, und das Weist mit grosser Wahr-
scheinlichkeit auf die Schlacht von Platäa hin. Die Gruppen sind über-
aus lebendig bewegt, die Motive geistreich, neu, originell erfunden, die
Scenen des Kampfes voll lifanniehfaltigkeit in einem feurigen, kühnen
Style, die Körper, soweit die arg verletzten Platten theils am Monumente
selbst, theils im britischen Museum ein Urtheil gestatten, in edler flics-
sender Folmbehandluilg durchgeführt. Doch wiederholen sich manche
Motive, was im Einklange mit der Haltung der Götter an der Ostseite auf
eine noch nicht zu höchster Fülle und Freiheit der Phantasie vorgeschrit-
tene Kunst deutet. Dagegen sind diese Seulpturen die ersten, welche in
pentelisehcm Marmor ausgeführt wurden, während die am Theseion noch
in parisehem Marmor gearbeitet sind.
Unmittelbar an diese Werke reihen sich nun die grossartigen Sculp-
turen des Parthenon. Sie wurden von Phidias und seiner Schule bis
Fries des
Niketenmpels.
Sculpturen
des
Pnrthenon.
a) Die Anlage des Propyläenbuues, dessen südlicher Flügel oHenbar mit
RÜChblChE auf den schon vorhandenen Niketempel minder weit ausladct als der
nördliche, zwingt zur Annahme, dass der Niketcmpcl früher, also noch zur Zeit der
Kimorlischcii Verwaltung erbaut worden sei.