Zweites Kapitel.
Die griechische Plastik.
Geschichtliche Entwicklung.
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Einfangung des marathonischeil Stieres, die Bändigung der krommyoni-
sehen Sau und die Bezwingung und Bestrafung mehrerer Räuber und Un-
holde, des Sinis und Anderer. Schöner konnte die griechische Kunst die
Heroen nicht feiern, als indem sie die Thaten darstellte, durch welche
jene die rohen Feinde der Kultur besiegten und einer höheren Gesittung;
die Bahn bereiteten. Zudem gab es für die Plastik keine günstigere Ge-
legenheit, lebensvolle Motive der Schilderung zu gewinnen, als in solchen
Kampfseenen, wo die edle Menschengestalt durch ihre geschmeidigere,
von höherer Intelligenz geleitete Kraft über die imbändigen Gebilde eines
roheren Geschlechtes den Sieg davon tragt. Das ist denn in den Metopen
des Theseion mit hoher Freiheit und kühner Meisterschaft durchgeführt.
Jede Situation des Kampfes ist auf der Spitze des entscheidenden Momen-
tes aufgefasst; die beiden kämpfenden Gestalten sind im Anstemmen des
Ringens, im Gegeneinanderwirken so geschickt in's Gleichgewicht ge-
setzt, dass der Zuschauer voll Spannung im nächsten Augenblicke den
Umschwung erwartet, der den Sieg herbeiführen muss. Wenn hier nicht
Myron selbst vielleicht tiureh Entwürfe zu den Compositionen betheiligt
war, so kann man sich kaum der Vermuthung entziehen, dass wenigstens
ein Einfluss seiner Kunstrichtung hervortrete. Die lebendige Natur-wahr-
heit der Formen, die mit: einer strengen, grossartigen Behandlung ver-
bunden ist, würde der Vorstellung, die wir von myroniseher Kunst haben,
Wohl entsprechen. Mit spielender Leichtigkeit sind die schwirierigsten
Stellungen, die kühnsten Bewegungen (lurchgeführt, und man erkennt so-
gleich den grossen Fortschritt, wenn man diese Werke mit der noch
gebundenen Auffassung in den Aeginetengruppen vergleicht. Auch die
Körper sind flüssiger in der Formbezeiehnlulg als dort, obwohl sie darum
nicht minder kraftvoll ja nur um so grossartiger erscheinen.
Noch wichtiger vielleicht sind sodann die Friese, die sich im Pro-
naos und der I-Iinterhalle des Tempels befinden, und von denen der an
der Vorderseite wieder ausgedehnter ist als der entgegengesetzte. Es
sind die ersten umfassenderen Friescompositionen, die uns in der grie-
chischen Plastik begegnen. Der Gegenstand des längeren östlichen
Frieses ist ein Kampf zwischen bewaffneten und unbekleideten lilännern,
im Beisein von sechs thronentlen Gottheiten. Wenn man in letzteren, weil
sie in zwei Gruppen getheilt und einander entgegengewendet sind, die
Beschützer der beiden Parteien vermuthet hat, so ist das gewiss grundlos.
Diese Anordnung wird durch das Gesetz der symmetrisch aufgebauten
Zwßitlügligen Composition bedingt; ausserdem hat der läildnei" augen-
scheinlich durch die Abwechslung ruhiger und bewegter (truppen seinem
Fries eine grössere hlzinnichfaltigkcit des Rhythmus geben wollen. Ohne
Liibkc, Gesch. der Plastik. f)