120
Buch.
Zweites
bereits zum lilanierirten und weiehlieh Selnrülstigren in der Fornibehand-
lung neigend und überhaupt nicht ohne gewisse Uebertrtsibungen, giebt
uns einen, wenn auch schwachen Anklang an das Original. (Fig. 47.)
Der Hauptaecent der Charakteristik liegt unverkennbar in der Fülle der
stolz sich aufbäutnienden und in grossen Massen zu beiden Seiten herab-
fallenden Locken, sowie in den kühn geschwungenen Brauen, unter (lcnen
hervor die Augen über das weite Weltall. zu blicken scheinen. Die ge-
drungene Stirn, die mächtig vorspringende Nase vollenden den Eindruck
der Weisheit und Kraft, während die vollen, leichtgeölfnetien Lippen
mildes Wohlwollen umspielt, und der üppige Bart gleich den fest und
schön gerundeten Wangen sinnliche Frische und unvergäiiiglielie Mannes-
schönheit verriith.
Der Zeus des Phidias war die höchste Bewunderung des gesammteri
Alterthu1ncs;_ er überlebte den Gott selbst, denn erst inrV. Jahrhundert
der christlichen Zeitrechnung zerstörte ein Brand das Bild und den 'l"e1n-
pel. Jeder Hellene wallfahrtete zu ihm; glückselig wurde gepriesen, wer
ihn gesehen hatte. "Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus
machte der olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien
mindestens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der Gott
selbst gegenwärtig. Plinius nennt ihn unnaehahmlich, Spättere preisen
seinen Anblielä gerade wie ein Zaubcrmittel, welches alle Sorge und alles
Leid vergessen mache, und Quintiliail sagt, der Zeus des Phidias habe
sogar der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt, so
sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selber gleiehöl" Hatte
doch der Beherrscher des Olympos dem Meister einen Beweis seines
Wohlgefallens zu geben nicht verschmäht. Denn, so erzählt die fromme
Sage, als Phidias vor dem vollbrachten Werke im Tempel betend den
Gott um ein Zeichen bat, ob das Werk ihm wohlgefällig sei, da fuhr
plötzlich ein Blitz von der RGClliJ0]1ll10l' aus heitrem Himmel (lureh die
Oetfnung des Tempeldaches dicht neben dem Meister in den Boden nieder.
Um die Bedeutung des grossen Meisters zu würdigen, bietet uns sein
Zeus den wichtigsten Anhaltspunkt. Wir sehen durch seine Kunst die
Idee des höchsten Gottes der Hellenen in einer Vollkommenheit verkör-
pert, die etwas Unwiderstehliches für jeden Griechen hatte. Niemals ist
der Gottesbegrid eines ganzen Volkes durch die Schöpfung eines Künstlers
in so vollendeter Weise ausgedrückt worden. Wie tief musste die An-
schauung des Meisters vom allgemeinen Bewusstsein, von der nationalen
Gottesidee getränkt sein, um ein Werk zu schaffen, das nicht subjectivei-
k) Krume ,
203.