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Zweites Bucl
sclnvundien, und nur die Stelle, wo die Basis gestanden, hat man neuer-
dings auf dem Felsboden der Akropolis aufgefunden.
Hatte Phidiats in diesem gepriesenen Werke die jungfräuliche Göttin
der Weisheit, die friedliche, siegspendende Beschützerin Athens zu einem
Oharakterbilde ausgeprägt, dessen llauptzüge in allen späteren Darstel-
lungen der Göttin nachklingen, so wurde ihm in Olympia eine noch höhere
Aufgabe zu Theil, ja die höchste, welche die hellenischc Anschauung; zu
stellen hatte. Es galt für den Tempel zu Olympia ein Bild des Vaters der
Götter und Menschen, des IYTerrschers im Olympos zu schaffen. Auch hier
wurde das gewaltige, über vierzig Fuss hohe Werk aus Gold und Elfen-
bein über einem hölzernen Kerne gebildet, aber nicht stehend wie die
Athene, sondern auf einem prztchtvollen Throne sitzend. Ein Kranz von
Oelzweigen krönte das Haupt. Die Linke hielt das Scepter, das den
Adler, den Vogel des Zeus, trug; auf der ausgestreckten Rechten schwebte
eine geflügelte Nike. So wurde der (flott, mit Beziehung auf die olym-
pischen Spiele, gleich der Athene Parthenos, als Siegvcrleiher bezeichnet.
Ein goldner Mantel, mit eingelegten Figuren undLilien gcschmüizkt, be-
deckte die gewaltigen Forlnen. Noch reicher als das Bildwerk selbst
waren Thron und Schenlel des Gottes in Gold und Edelsteinen, Elfenbein
und Ebenholz ausgeführt. Der Sitz hatte ausser den vier Füssen noch
ebensoviele Säulen zur Unterstützung der ungeheuren Last des liolosses.
An den Füssen waren vierundzwanzig Nikegestaltcn ztls 'l"iinzerinnen an-
gebracht; an den Querriegeln, welche die Füsse miteinander verbanden
und befestigten, sah man in lilinzeltiguren die acht alten Kampfarten, und
ausserdem die Schlacht des Herakles und Thcseus gegen die Amazonen.
Zwischen den unteren Theileil der Füsse waren Schranken angeordnet,
(leeren Vorderseite nur blau gemalt war, da sie (lnreh die Füsse und den
herabfallenden Mantel des Gottes grösstent-heils verdeckt wurden; an den
drei übrigen Seiten (lagegen hatte Panaenos, des Phidias Neffe, neun
Darstellungen aus der Ileroensagc gemalt. Ferner sah man, vielleicht
an den Armlehnen, Sphinxgestalten, welche Knaben raubten, (iaruiltci-
Apollo und Artemis, welche die Niobiden tödteten. An der Rücklehne
waren die IIoren und Chariten, am Fusssehemel goldne Löwen und des
'l'heseus Schlacht gegen die Amazonen angebracht. Endlich war auch
die Basis, auf Welchender Thron sich erhob, mit Göttergestalten ganz
bedeckt.
Aus all dieser reichen Pracht muss sich um so feierlicher die maje-
stätische Gestalt des Gottes hervorgehoben haben. Phidias hatte in ilnn
nicht bloss den huldvollen, gütigen Allvater, sondern auch den gewaltigen
Beherrscher des Olynlpos dargestellt. Er hatte sieh dabei der Schilderung