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Buch.
Zweites
kolossale Athene Areia zu Plataeae, die ein Akrolith war, d. h. ein gold-
bekleidetes Holzbild, dessen nackte Theile aus pentelisehem ltlarmor be-
standen; vor Allem aber die berühmte gegen 70 Fuss hohe eherne Statue
der Athene Promachos, welche die Athener zum Andenken der Perser-
siege auf der Akropolis zu Athen aufstellten. Wir wissen von ihr, dass
der Helmbuseh und die Spitze der Lanze meilenweit gesehen wurde und
dem von Sunion heranfalirenden Schiffer den Gruss der heimischen Stadt-
göttin entgegenblitzte. Dagegen sind wir nicht einmal genau über die
Stellung und Haltung der Göttin unterrichtet, ja (lureh verschiedene Dar-
stellungen auf attischen Münzen wird diese Frage nur noch verwirrter.
Denn einmal hat die Göttin in ausgestreekter Linken die Lanze, während
der Schild, von der Rechten gehalten, zu ihren Füssen ruht; das andere
Mal halt sie den Schild hoeh erhoben wie zur Vertheidigung am linken
Arme und greift mit der Rechten bis zur Spitze der fest aufgestemmten
Lanzehinzulf. Man wird zugestehen müssen, dass diese rüstigere Stellung
mehr als jene ruhige Haltung einer Promaehos, einer vorkiimpfenden
Göttin, entsprichtß") Eine andere Erzstatue der Athene, welche die
Lemnier auf die Akropolis gestiftet hatten, zeigte die friedliche Göttin und
ward ihrer Schönheit wegen dem Bilde deifPromaehos noch vorgezogen.
Endlich mag dieser ersten Epoche des Meisters ziueh die Amazone
angehört haben, die er im Wettstreit mit Polyklet, Kresilas und anderen
Künstlern für den Tempel der Artemis zu Ephesos gearbeitet hatte. Sie
stützte sich apf einen Speer und ward besonders wegen der Fügung des
liIundes und wegen der Bildung des Naekens geschätzt, wurde aber von
den Werken jener beiden uretteifernden Meister übertroffen. Wir (lürfen
daraus sehliessen, dass bei grossei- Vortrelfliehkeit ziucliin Solellen Ge-
bilden der hohe Geist des Phidias doeh seinen eigentlichen Selnverpunkt
in Aufgaben rein idealer Gattung fand.
Wenn aus der TllkltSälCllC, dass der Bildhauer ilhjs, etwa ein Mcnschenalter
nach Phidias, auf dem Schilde nachträglich eine Kentaurenschlatcht und Anderes
ciselirte, geschlossen werden soll, dass der Schild dann nur niedergesctzt zu denken
sei, weil sonst solche zierliche Kunstwerke nicht gesehen und genossen werden
konnten, so entspringt das einer mehr modernen als antiken Auffassung. Denn den
Griechen (und so war es vielfach auch in der Kunst des Mittelalters) kam es bei
solchen Werken vor Allem darauf an, die Gottheit durch den höchsten Schmuck
und die reichste Arbeit zu ehren; der Genuss des Kunstwerkes stand durchaus in
zweiter Linie. Beweis dafür, dass man an grossen Denkmalen, z. B. an den Tem-
peln selbst die Theile der Ausstattung, welche ihrer Ocrtlichkeit halber nie gesehen
wurden, wie die Rückseiten der Giebelstatuen, ebenso sorgfältig (lurchführte, wie
die der allgemeinen Schau sich darbietende Vorderseite.