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Zweites
an der Spitze die Architektur, wagen vereint den letzten Schritt zur völ-
ligen Entfaltung ihrer Schönheit. Was damals in der kurzen Dauer eines
hlensehenalters (von 460 etwa bis 430) geschaffen wurde, das gehört
selbst, in den armen, verstümmelten Resten, die auf uns gekommen, zu
den herrlichsten Besitzthürnern unsres Geistes; das wird, so lange noch
eine Spur davon vorhanden bleibt, der reinste Hochgenuss und das edelste,
Bildungselement aller kommenden Geschlechter sein. Denn wenn auch
jene unvergleichliche Blüthe, wie alles Schöne der Erde, nur eine kurze
Zeit währte, wenn auch der durch Eifersucht und Zwietracht entfachte
peloponilesische Krieg bald die Kraft und Gesundheit des griechischen
Lebens zerstörte, so dauern doch die Früchte dessen, was (lamals geschaffen
wurde, für späte Jahrtausende fort. Und so mächtig war damals die gei-
stige 'l'riebkraft des griechischen Volkes, dass selbst die Wirren eines fast
dreissigjaihrigenBürgerkrieges das Wachsthum (ler Kultur nicht zu un-
terdrücken vermochten, dass vielmehr in ununterbrochenem Fortgang der
hellenische Geist in Kunst und Wissenschaft zu weiteren Stadien der Ent-
wicklung fortschritt. Wir werden diese tVandltlngen innerhalb einer so
kurzen Periode im Einzelnen bald erkennen.
Der
Künstlerkrei
attischc
In der Plastik knüpft sich die völlige Befreiung zur erhabensten
Schönheit an den Namen des Pleidias. Dieser grösste Plastiker aller
Zeiten war um das Jahr 500 zu Athen geboren. Sein Vater hiess Char-
mides. Die grossen Persersehlachten fztlltrn in die Knabenzeit nnd die
Jünglingsjallre des heramvaeliseinleii Phidias. Vlelehen Schwung der
Begeisterung müssen die Grossthaten seines Vaterlandes in dem empfäng-
liehen Gemüthe eines solchen Knaben erregt haben! Damals ohne _Zweifel
wurde in seiner Seele jener Funke des Enthusiasmus entzündet, aus
welchem die herrrlielien Werke zur Verklärung der höchsten Ideen des
griechischen Geistes geboren werden sollten. Phidias scheint zuerst sich
der Malerei gewidmet, bald aber seinen wahren Beruf erkannt und sich zu
IIegias in die Lehre begeben zu haben. Sodann wandte er sich nach Ar-
gos, wo Agelatlas seine künstlerische Ausbildung vollendete. Seine erste
selbständige Thätigkeit fallt in die Zeit des Kimon (e. 470-463), welcher
die von den Persern zerstörten Heiligthümer prächtiger wieder aufzubauen
begann. Als nach Kimons Verbannung Perikles ans Ruder trat, war der
ungefahr siebenunddreissigjährige Phidias auf Ajßllßlll Wendepunkte des
Lebens, wo jugendliches Feuer und männliche Kraft sich zu schöner
Reife verbinden. Er wurde der Freund des grossen Staatsmannes und