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Zweites; Buch.
Archaisti-
schc Reliefs.
unterscheiden, welche anscheinend demselben Style angehören, in Wahr-
heit abe1' als Produkte einer späteren Alterthuinsliebliaberei jenen alten
Arbeiten in einem alterthümelnden (arehaistischen) Style nachgeahmt
wurden. Man gab den Köpfen jenen läehehltlcn Ausdruck, dem Haar die
steifen Löckchen, den Gewitndern die zierlichen Parallelfalten, vermochte
jedoch sich der volleren, ausgebildetercn Formen einer erltwieltelten Kunst
nicht zu entschlagen, die mit jener angenommenen Befangtuilieit fühlbar
contrastiren. Während daher bei den wirklich alten Werken durch alle
Strenge und lmospcnartige Versehlössenheit eine treuherzigc Empfindung
hervorschiminert, vermögen die naehgeahmten es nur zu affectirter Zier-
lichkeit ohne alle Warme des Gefühls zu bringen. Solcher Art ist der mar-
merne Athenetorso im Museum zu Dresden (Fig 41), bei welchem die
zehn im lebendigsten Reliefstyl durchgeführten Kampfscenen am vorderen
Streifen des Pcplos aufs Unzweideutigste die spätere Entstehung bezeu-
gen. Hierher gehört ferner die mit grossem Fleiss durehgearbeitete
schreitende Artemis, eine unfern 'I'orre dcl Grcco gefundene lllarnlorstatue
des Museums zu Neapel. (Fig, 42.) Die reiche Gewandimg zeigt an
ihren Saumen vielfache Farbenspuren, die auch an den Sandalen, dem
Köcher und der Kopfbinde mit ihren zierlichen Rosetten sich finden.
Ebenso hat auch das Haar Spuren von Vergoldung. Verwandter Art
ist auch eine weibliche lllarlnorstatue der Glyptothck zu lliüilchcn,
angeblich eine Spes, deren zierlich gefaltclter Chiton und Peplos
nicht im Einklange steht mit der weichen, vollen Formbehzindlung des
Kopfes.
Ieläiutiger finden sich Reliefdarstellungen archaistisehcn Styles, die an
Altiiren, Untersatzen zu Dreifüssen, Brunncnötfnungcn, Kandelaberfüssen
und zu andern Zwecken mehrfach angeivztndt wurden. Solcher Art ist der
berühmte Altar der Zwölfgöttcr, ehemals in der Villa Borghese, jetzt im
Louvre zu Paris von dem wir die untere Darstellung einer Seite, drei
schreitende Chariten, beifügen (Fig. 43). Ferner die marmorne Dreifuss-
basis im Museum zu Dresden, welche den Raub des delphischen Drei-
fusses durch IIeralzles (Fig. 44), die Wiedcrweihung desselben und eine
andre minder (leutliche Scene enthält. In dem affektirten überzierlichen
Schreiten auf den Zehen und in dem feinen Verständniss der Körperformen
verräth sich die nachbildendc Hand eines späten Künstlers. Alle diese
Werke, deren man in den verschiedenen Museen eine ziemliche Anzahl
findet, verhalten sich zu den Schöpfungen der wirklich alten Kunst, wie in
unserer Zeit die forcirte Nachahmung der befangenen Werke mittelalter-
licher Kunst zu ihren Vorbildern.