Zweites Kapitel.
Die griechische Plastik.
Geschichtliche Entwicklung.
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waren ferner der Brustpanzer, die Sandalen, der Gewandsaum der
Athcna; Löcher in ihrem I-Ielmrand, in den Ohren,- in der Aegis deuten
auf hinzugefügten Bronzesehmuek.
Diesen bedeutenden Werken ohne Zweifel eines der grössten Meister Agäilgtfl-s
von Aegina vermögen wir bis jetzt aus der gleichzeitigen Kunst der ioni-
sehen Stamme kein auch nur armahernd gleich wichtiges gegenüber zu
stellen. Dass jedoch diedamalige Kunst Attika's der äginetisehen nicht
untergeordnet war, lasst sieh nicht allein aus den Nachrichten der Alten
vermuthen, sondern selbst mit einzehien "Beispielen belegen. Zu den wich-
tigsten gehört die auf (ler Akropolis zu Athen gefundene und ebcndort
aufbewahrte Marmorplatte von etwa drei Fuss Höhe, auf welcher im zar-
testen Flaehrelief eine wagcnlenkende weibliche Gestalt dargestellt ist
Die Bewegung hat etwas Moinentanes, denn sie scheint eben den Wagen
zu besteigen, hält aber, anmuthig vornüber gebeugt, mit den ausge-
streckten Armen die Zügel des Gespannes. Ein in vielen Parallelfalten
zicrlieh- herabfallendes Gewand umhüllt ihre Schultern und wallt bis über
die Kniee nieder. Obwohl das schöne Werk sich in mangelhaftem Zu-
stande der Erhaltung belindet, namentlich der Kopf stark gelitten hat, ist
doch eine Anmuth darüber ausgegossen, eine Weichheit und ein Schmelz
der zarten Umrisse erreicht, dass man den Zauber jener edlen Weiblich-
keit emplindet, der später in noch höherer Kunstvollendung aus dem
Friese des Parthenon zu uns spricht. Vielleicht dürfen wir in diesem mehr
iimerlichen, weihevollen Wesen, in einer gewissen ethischen Schönheit und
Reinheit, gegenüber den mehr auf kräftiges äusseres Handeln gerichteten
üginetischen Gruppen, eine Eigenschaft attiseher Kunst erkennen.
In einem Gegensatze zu dieser attisehen Richtimg, dagegen den Jüngere
Aegincten näherstehend, erscheint eine Anzahl von Metopenreliefs im Mäiiliilnt?"
Museum zu Palermo, welche von zwei jüngeren, Wahrscheinlich dem
zweiten Viertel des IV. Jahrhunderts angehörendenTempeln zu Selinunt
stammentät"). Sie enthalten mehrere Scenen der Gigantenkampfe, bei denen
ilamentlieh Athene kenntlich hervortritt; ferner eine überaus lebendige
Darstellung des auf der Artemis Geheiss von seinen Hunden angefallenen
Aktaon; sodann Herakles im Kampfe mit einer Amazone und die Zusam-
menkunft des Zeus und der Hera auf dem Ida, wie sie Ilias XIV, 152 ff.
geschildert wird. Die Darstellungen sind in ltritftigem Relief gehalten und
in einem stark verwitterten Kalktuü ausgeführt, mit Ausnahme der aus
weissem lllarmor angesetzten und deshalb wohlerhalteneii Köpfe, Hände
Aitischvs
Relief.
Abgebildet in Sclzölläs Mittheilungen Taf. II. Fig. 4; und danach bei Overbecle
Gesch. d. griech. Plastik. I. S. 129.
"Ü Abgebildet in Serra(l1'falcu's Antiquitä dclla SiCiÜH. Taf. 28-34.