VIII
Vorwort.
nicht durch den Vergleich die Bedeutung der späteren Schopfuizgeiz, in
Schatten stellen, um so weniger, da der Geist des christlichen Zeitalters sicht-
lich die Malerei in seine Gunst geschlossen hat, und noch heute die allgemeine
Vorliebe gerade dieser Kunst sich zuwendet. So wurde die Plastik der
christlichen Zeiten stiefmütterlich behandelt und meistens nur mit zzinem halben
Seitenblick über die Achsel angesehen. Wohl erschloss Schnaase in seiner
meisterhaften Kunstgeschichte des Mittelalters die weiten neuen Perspektiven,
welche die Bildnerei des 13. Jahrhunderts darbietet; wohl gab Durckhard t
in seinem Cicerone in gedrdngter, aber lebens-voller Darstellung eine Ueber-
sieht über die Gesammtheit der italienischen Sculjitzir; wohl hatte C icognara
früher schon einen immerhin dankenswerthtin Versuch gemacht, durch bild-
liche Darstellungen die Entwicklung der Plastik seines Vaterlandes anszrhaulielz
zu machen. Aber was dort für einzelne Abschnitte oder lokale Gruppen
geschehen war, musste conseguent für die gestimmte-n Leistungen dieses Ahinst-
zweiges durchgeführt werden, wenn ein Ueberblick über das innere und
(iussere V erhiiltniss der verschiedenen Zeitriiutne gewonnen werden sollte.
Ein leitender Grundsatz war vor Allem der, meine Darstellung in um-
fassendster Weise auf die eigene Anschauung der Denkmäler zu stutzen, wo
möglich überall selbst zu sehen und zu urtheilen. Dies ist mir denn für die
orientalische und griechische Plastik durch das Studium des Britischen Mu-
seums, für die gesammte antike Kunst durch andauernden Aufenthalt in den
Sammlungen Italiens, Deutschlands und Frankreichs, für die Denkmäler des
Mittelalters und der neueren Zeiten durch ausgedehnte Reisen im südlichen
und nördlichen Deutschland, in den meisten Theilen Frankreichs, in den
wichtigsten Provinzen Italiens, endlich in nicht geringem Maasse durch
wiederholte Besuche im Glaspalast von Sydenham zu Theil geworden. In den
meisten Fallen hab' ich nach den Originalen oder doch nach Gzpsabgiissen
mein Urtheil bilden können.
Was ich seit Jahren durch unausgesetzte Forschung und Beobachtung
gesammelt hatte, das habe ich nun zu einem Ganzen zu vereinigen gesucht,
in welchem die Entwicklung der Ideen wie der Formen mir von
gleichmäßiger Wichtigkeit war. Denn es bedarf wohl keines Beweises, dass
eine wahre kunstgeschichtliche Betrachtung sich nur aus der Verschmelzung
beider Elemente gewinnen lässt, _die einander gegenseitig fordern und be-
dmyen- Was aber iichle kunsthistorische Behandlung so schwierig und so
selten macht, ist der Umstand, dass nicht bloss gelehrte Kenntniss, sondern
auch angeborner und durch ununterbrochne Uebung geschiirfter Blick für
das eidentliclt Künstlerische dazu erfordert wird. Ich wünsche nichts so
sehr, als dass wenigstens Etwas von beiden Eigenschaften sich aus meiner
Arbeit erkennen lasse.