Zweites Kapitel.
Die grieghische Plastik.
Geschichtliche Entwicklung.
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Wichtiger als jene gar zu allgemeine Bezeichnung ist für unsre An-
schauung die Auffindung der berühmten Giebclgruppen des Pallastempels
von Aegina, welche im Jahre 1811 einer Gesellschaft von Archäologen
gelang. Dies bedeutendste unter den erhaltenen Werken de'r Frühzeit
(etwa zwischen 500, und 480 entstanden), erhielt durch Thorwaldsen eine-
meisterhafte Restauration "imd wurde durch König Ludwig von Bayern
für die Glyptothek in München erworben. Jedes der beiden Giebel-
felder enthielt eine Gruppe von elf Mormorstatuen, von denen die des
westlichen grösstentheils erhalten sind, nämlich zehn Figuren vollständig
und von der elften die Bruchstücke, während vom östlichen noch fünf
Statuen und ansehnliche Bruchstücke der übrigen vorhanden sind. In
beiden Feldern wird eine Seene aus den Kämpfen der Griechen vor Troja
dargestellt; beidemale ist es der Leichnam eines gefallenen Griechen, un1
den ein Streit entbrennt, welcher durch das Dazwischentreten der Athene
zu Gunsten der Griechen entschieden wird. 1m westlichen Giebelfelde hat
man den Leichnam des Achill erkannt, welchen Ajax nebst Odysseus und
andern Gefährten gegen die Tlrojaner verthcidigt; im östlichen gilt der
Kampf dem gefallenen (likles, der von Tclamon und Herakles gegen
Laomedon und andere Trojaner in Schutz genommen wird. Die Göttin
steht hoch aufgerichtet in der Mitte des Giebelfeldcs und sucht mit vor-
gehaltcnem Schild und halb gesenkter Lanze den Körper des Gefallenen
zu (lecken (Fig. 35); dieser liegt zu ihren Fiissen hingestreckt, wie ihn
eben das feindliche Geschoss niedergcwvorfcn hat, und ein trojanischer
Krieger beugt sich vor, um ihn zu sich herüberzuziehen. Ein stark aus-
schreitentler Tlrojaner (leckt _1nit dem Schilde und vertheidigt. mit l10cl1-
gesehwungener Lanze dies Unternehmen (Fig. 38), indess ihm auf der
anderen Seite in ähnlicher Stellung eineGrieche entgegeneilt (Fig.
Auf diese beiden folgt jederseits ein knieender Bogcnschütz (Fig. 36 und
die einzigen von "den Kriegern, welche bekleidet sind, -und zwar der
dlrojancr, in dessen Gestalt man den Paris erkennt, mit dem gebogenen
phrygischen Ilelm und eng anschliessendem Lederpanzcr. Sodann kommt
jedcrseits ein knieender Krieger, der sich stark vornüber beugt, um dem
Stossc seiner Lanze Nachtlruck zu geben. Die aussersten Ecken des
Gicbelfeldes endlich (Fig. 37. und 40) füllt je ein gefallener Krieger, von
denen "der Eine sich bemüht, den Pfeil aus seiner Wunde herauszuziehen.
Diese Composition, die sich mit geringen Abweichungen auf beiden
Gicbelfeldern im Wesentlichen gleichlautend wiederholt, ist dem liatmie
trefflich angepasst und mit einer strengen Symmetrie aufgebaut, in
welcher nur die beiden Gestalten des Gefallenen und des nach ilnn Grei-
femlcii eine Unterbreclnlng von freierer rhythmischer Anordnung veran-
Gruppen des
Tempels zu
Aegin a.
Die Com-
position.