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Malerei
Die
im
Italiens
Quattrocento.
Doch war das Andachts- und insbesondere Maclonnenbild
keineswegs das Feld, auf welchem der Cortonese, dem die Anmut
und religiäse Innigkeit eines Perugino oder die epische Ruhe eines
Ghirlandajo fehlte, seine volle Leistungsfähigkeit zu entfalten
vermochte. Weit entsprechender mochte ihln der Auftrag des
Pandolfo Petrucci in Siena sein, dessen Palast mit einer Fresken-
reihe klassischen Inhalts zu schmücken. Da jedoch dieser Cyklus,
soweit cr von Signorellis Hand, grässtenteils verschwunden ist,
sehen wir uns zur Beurteilung des Meisters in diesem Stoffgebiet
auf das prächtige Tfafelbild xPan als Gott des Naturlebens und
der Musika in der Galerie zu Berlin angewiesen, in welchem sich
die individuelle Art Pieros mit der Horentinischen Formenplastik
treillich verbunden zeigt.
Leider hat auch der Freslcencyklus aus dem Leben des
hl. Benedikt in Monte Oliveto maggiore von Claiusuri bei Buon-
convento, wahrscheinlich kurz vor den Petrucci-Fresken 1497
gemalt, zu sehr gelitten, als dass cr noch den alten Eindruck
von der Hähe scines Meisters gewähren kännte. Doch zeigt er
noch deutlich die geschickte Verbindung der Schule des Pier
della Francesca mit jener der Horentinischen Realisten und dazu
eine Frische der Phantasie und eine Beweglichkeit, welche kaum
jener seines Hauptwerks nachstand, mit dem er in den jahren
1499-1502 seinem Ruhme das bedeutendste Denkmal setzte.
Dieses bestand in dem Freskenschmuck der Capella Nuova oder
Madonna, di S. Brizio, welchen bereits Fra Giovanni Angelico
begonnen hatte. Gegenstand desselben ist (las vjüngste Gerichm (K1.
B. 93, 129, 230, 231, 320). Hier bietet Signorelli einen der Hühe-
punkte der Kunst seiner Zeit, das Hächste von Lebenswahrheit
und Lebendigkeit, von dramatischer Gewalt, von Würde und
Schreckhaftigkeit, verbunden mit einem Raffinement von Perspek_
tive und Verkürzung und mit einer Sicherheit der Zeichnung
und Anordnung, wie sie viellcicht in keinem anderen Werke
vor dem Cinquecento auftritt. ja man kann es den Vorläufer de;-
Schüpfung Michel-Angelos in der Sistina nennen und behaupten,
dass vor der letzteren dem Cyklus Signorellis keine andere an Kühn-
heit und Grossartigkeit gleichkümmt. Selbst seine eigenen späteren
Schüpfungen nicht mehr, so verdienstlich auch einige seiner Arbeiten
seiner letzten zvvanzig Lebensjahre sein mägen, Werke wie die
wEinsetzung des Abendnuahlsx von 1512 im Dom zu Cortona, oder
die xMadonnaa von 1515 in S. Domenico zu Cortona. und in Privat-
besitz zu Citta di Castello. Bis in sein hohes Alter stets thätig
und bürgerlich angesehen starb der Meister Ende 1523.