Die
Schule
rämische
Raphaels
und Michelangelos.
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In erster Linie steht der freilich mit Michelangelo künst-
lerisch nur sehr lose zusammenhängende Sebastiano Luciani,
von seiner Heimat sich selbst Seb. Veneziano nennend, später
aber von seinem 1531 erhaltenen Amt als Bullensiegelbewahrer
Seb. del Piombo genannt. Als jüngerer Zeitgenosse der grossen
venetianischen Trias 148 5 geboren, war er auch aus derselben
Schule hervorgegangen, und nennt sich selbst auf der aPietäa bei
Sir A. H. Layard in London einen Schüler des Giovanni Bellini.
Dass er auch noch Einflüsse von Giorgione erfahren, ist an seinem
prächtigen wChrysostomusbildee am Hochaltar von S. Giovanni
Crisostomo zu Venedig ersichtlich. 1511 von Agostino Chigi
nach Rom berufen, fand oder behauptete er den erwarteten Er-
folg nicht, nachdem sein xPolyphem-x in der Farnesina durch die
danebengesetzte xGalateae Raphaels verdunkelt worden war. Diese
Niederlage und seine Verabschiedung ans der Farnesina bestimmte
ihn, der doch durch seine eigene Entwicklung den Bahnen
Raphaels unzweifelhaft näher stand, sich auf die Seite Michel-
angelos zu stellen, und nun diesen auf sich einwirken zu lassen,
ohne aber durch seinen Hass gegen den Urbinaten behindert
zu werden, nebenher auch den Schüpfungen des letzteren Einfluss
auf seine Kunst zu verstatten. Dieser in der damaligen rämischen
Künstlerwelt nicht seltene Kompromiss erfreute sich jedoch bei
Sebastiano des ihm allein eigenen Vorzugs, dass der Venetianer in
der Lage war, seine aus der Lagunenstadt mitgebrachten kolo-
ristischen Qualitäten damit zu verbinden".
Das wundervolle 1512 gemalte Frauenbildnis in der Tribuna.
der Uff1zien (K1. B. 29 5), traditionell und von manchen noch jetzt
fälschlich für die Fornarina des Raphael gehalten, eines der
schünsten und technisch vollendetsten Idealbildnisse aller Zeiten,
wie die wh. Familiee bei Lord Northbrook in London, zeigt ihn
noch ganz als Venetianer der bellinischen Schule. Doch schon
in der xPietäe zu S. Petersburg stellt sich der Einfluss Michel-
angelos in den wuchtigen Formen neben venetianische Fülle und
Färbung. Für die xBeweinung Christie in S. Francesco zu Viterbo
soli Buonarotti sogar den Karton, für die wAuferweckung des La-
zarusc von 151g, jetzt in der Nationalgalerie zu London, einige
Teile und für die wGeisselung Christia in S. Pietro im Montorio
in Rom eine Skizze gezeichnet haben. Vielleicht hängt es dann
mit Beziehungen zu Lionardo zusammen, dass Sebastiano sich in
verschiedenen technischen Experimenten geiiei und seine Wand-
bilder in Ülfarbe und seine Tafelbilder bald auf Holz, bald auf
Leinwand oder Schiefer ausführte. Jedenfalls erreichte er in all