Raphael.
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und Michelangelos Weggang als der erste Maler von Florenz galt,
damals nochnicht daran, die Arnostadt, wo ermit Aufträgen überhäuft
war, zu verlassen. Wir müssen übrigens auch ans anderen Gründen
annehmen, dass das Datum 5. Sept. 1508, an welchem Tage er
aus Rom an Francia schrieb, falsch ist. Denn bis zum Frühjahr
150g arbeitete Sodoma in der Stanza. della Segnatura im Vatikan,
in welcher doch Raphael unmittelbar nach seinem Eintreffen in
Rom seine Thätigkeit unter Beseitigung der Malereien seines
Vorgängers begann, auch ündet sich Raphaels Name vorher nicht
in den vatikanischen Registern. Die vom Landsmanne des Künst-
lers, dem Architekten Bramante, infolge einer Äusserung des
Michelangelo und vielleicht auch auf Empfehlung des Herzogs
Francesco Maria da Urbino erfolgte Berufung Raphaels nach Rom
ist daher gewiss nicht vor 1509 zu setzen, da sie überdies mit
der Entlassung der bisher in den päpstlichen Gemächern arbei-
tenden Künstler, vorab des Sodoma, Bramantino und Lotto zu-
sammenhing.
Gegenstand des Schmuckes der Stanza della Segnatura,
womit die vatikanische Thätigkeit Raphaels begann, sollte die
Verherrlichung der Religion, der Weisheit, der Poesie und der
Gerechtigkeit bilden, deren Repräsentationsprogramm von den
gelehrten I-lumanisten des Hofes festgestellt wurde. Anordnung
und Ausführung blieb Raphael ganz überlassen. Auch entsprach
es wohl ganz seinem Ermessen, dass er seinen Studien ein Element
hinzufügte, welches er bisher nur Hüchtig gestreift hatte, als er
nämlich infolge einer Studie von 1504 nach der antiken Grazien-
gruppe der Dombibliothek zu Siena, die jetzt in der Galerie
Dudley befmdlichen xGraziena und nach Kenntnisnahme der
Sammlung von San Marco in Florenz den zApoll und Marsyasr
irn Louvre (K1. B. 254) malte. Bei seiner Ankunft in Rom aber
war ihm dieses Element mit so überwältigender Macht entgegen-
getreten, dass seitdem die Antike einen wesentlichen Faktor seiner
Kunst bildete.
Er begann mit der Decke, an welcher er unter Belassung
der ornamentalen Anordnung Sodomas zunächst vier Allegorien als
Medaillons in die vier Felder des Kreuzgewülbes setzte, nämlich
die wTheologiea, wPhilosophiee, xPoesiea und wGerechtigkeitm
Unterhalb dieser brachte er in länglichen Rahmen mit Bezug auf
die Erlüsung durch die Religion den wSündenfallx, im Zusammen-
bang mit der Philosophie die wBetrachtung der Welta, im Bezug
auf die Poesie wApoll mit Marsyasa und als Repräsentation der
Gerechtigkeit das vUrteil Salomonisx an. Die Hauptschüpfungen