DEUTSCHLAN 1)
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Unheilschwangere Nachtgesichte folgen der antiken Heiterkeit; dem
schalkhtiften Liebestraum erschütternde Liebesdramen, jäh wechselnde
YVantielbiltlei' von duftenden Blumengiirten und düsteren Strassen-
scenen. Mit einer in den Wagen geworfenen Rose beginnt die Ehe-
bruchsgeschichte seine Liebea und in der Klinik endet sie kein
schlüpfriges Geschichtchen, sondern eine tiefernste "Tragödie, eine
Todtentanzphantasie von zermalmentiei" Wucht. nEill Lebend be-
arbeitet neu das alte Hogartlfsche Thema vom Lebenslauf einer
Dirne. Ein junges Weib, leidenschaftlich, träumend, von lockenden
Fata Morganagesichten umgaukelt. Ein wilder Liebesrausch und dann
Verlassen. Noth und der verführerische Klang des Goldes. Eine
Kokette, die es kalt mit ansieht, wie zwei Rivalen ihretwegen sich
morden. Dann Tänzerin, die auf den Brettern, in tollen Sprüngen
wirbelnd, ihre Reize preisgibt. Ein Ende im Dunkel der Nacht auf
der Gosse. Sie ist gerichtet ist gerettet. Auf dem Schluss-
blatte ragt Christus in die Nacht empor und öffnet den Ausblick in
eine Welt der Versöhnung, der Reinheit und des Friedens.
Auch die Kunst des 19. Jahrhunderts scheint gerettet zu sein.
vLC propre de l'homme est dinventer, detre soi et "non pas un
autrea ist wie in den grossen Zeitaltern wieder das Schaifensprincip
der Besten geworden. Als Klinger im Beginne seiner Laufbahn den
Cyklus der ovidischen Opfer schuf, eröffnete er ihn mit einer An-
rufung der antiken Muse. Ein Arbeitstisch mit Zeichengeriitlieii ist
dargestellt, links ein Leuchter mit heller Flamme, deren Rauch sich
zu Gewölk verdichtet. Von Rosen umwuntieii steigt nebelhzlft ein
Haupt von classischer Schönheit, daneben eine griechische Landschaft
empor. Rechts auf der Tischplatte liegen zwei Künstlerhände, die
in brünstigem Flehen zum Geist der Antike beten. Im letzten Blatt
des Cyklus vom Tode ist ein anderes Glaubensbekenntniss enthalten.
Eine prächtige Gruppe uralter, tinirankter Bäume lasst freien Ausblick
auf die in heiterm Sonnenglatnz ruhende MeeresHache. Auf der Wiese
davor kniet nackt ein Meilscheilkind, das angesichts des gewaltigen
Oceans in die Knie sinkt und von Schönheitsschauern überwältigt,
das Gesicht mit den Händen deckt, um die ausbrechenden Thränen
zu ersticken. Ein ergreifender Hymnus auf die Schönheit der Natur
ist jener stammelnden Anrufung der antiken Göttin gefolgt. Gleich-
sam die Anfangs- und Endstation auf dem Wege, den die Malerei im
I9. Jahrhundert zurücklegte. Das Studium des Lebens gab ihr Frei-
heit und nun, nachdem der naturalistische Boden bereitet, tritt auch
Mmher, Moderne Malerei III. 42