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DEUTSCHLAND
snun kann ich Euch, mein lieber Johannes, mit wenigen XVorten
recht den Unterschied der alten frommen und der jetzigen vertlerbteren
Zeit vor Augen bringen. Seht, damals waren die heiligen Ge-
schichten so in das Leben der Menschen eingedrungen, ja, ich möchte
sagen, so im Leben bedingt, dass jeder glaubte, vor seinen Augen
habe sich das Wundervolle begeben und jeden Tag könne die ewige
Allmacht Gleiches geschehen lassen. So ging dem frommen Maler
die heilige Geschichte, der er seinen Sinn zugewentlet, in der Gegen-
wart auf; unter den Menschen, wie sie ihn im Leben Lnngaben, sah
er das Gnatdenreiche geschehen und wie er lebendig geschaut,
brachte er es auf die Tafel. Eben daher aber, mein lieber Johannes,
weil die Gegenwart zu prolan ist, um nicht mit jenen frommen
Legenden in hässlichem Widerspruch zu stehen, eben deshalb, weil
Niemand im Stande ist, sich jene YVunder als unter uns geschehen
yorztistellen, muss auch die Darstellung in tinserem modernen Costüm
uns abgeschmackt, fratzenhaft, ja frevelig bedünken. Liesse es die
ewige Macht geschehen, dass vor unser aller Augen Wirklich ein
Wunder sich ereignete, so könnten wir auch im Bilde das Kostüm
unserer Zeit vertragen; so lange dies nicht der Fall, aber werden die
jungen Maler, wollen sie einen Stützpunkt finden, darauf bedacht
sein müssen, in alten Begebenheiten das Kostüm des jedesmaligen
Zeitalters, so wie es erforderlich, richtig zu beobachten. Si duo idem
faciunt non est idem, und es ist nicht ausgeschlossen, dass, was mich
bei einem alten Meister mit frommen, heiligen Schauern erfüllt, mir
bei einem neuen wie eine Profanation
Diese Stelle findet sich in Th. A. Hoffmanns aLebensansichten
des Katers Nlurra, 1820, und erklärt vielleicht, weshalb Uhdes Bilder
trotz aller Wahrheit, trotz alles Reichthums seelischer Empfindungen
auf die Mehrheit des Publikums doch eher seltsam als überzeugend
wirken. Worauf die alten Meister, wie man annimmt, ganz Lmbewusst
kamen, was bei ihnen aNaiVetiita und Natürlichkeit war, wird bei
Uhde als logischer Schluss, als das Resultat einer complicirten Ge-
dankenreihe empfunden. Wenn er mit seinen Bildern gewisse sym-
bolische Gedanken verknüpfte, Dinge darstellte, die gleichsam das
ewig Fort wirkende der christlichen Lehre spiegeln, war es leichter,
ihm auf seinem Wege zu folgen. Nicht einmal tröstet nach dem
Glauben Jesus die Klagenden, nicht einmal tritt er als Freund der
Armen an ihren Tisch, nicht einmal bricht er mit den Seinen das
Brod: sich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Endes. Aber als