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DEUTSCHLAND
Die wheilige Nachta war ein Flügelaltzlr. Auf dem Mittelbilde,
das eine ärmlichc Schreinerstube darstellt, betrachtet Maria in stiller
Verehrung das auf ihrem Schoosse liegende Kind. Links nahen
auf steiler Gebirgsstralsse in ehrfürchtiger Scheu die Hirten; hie und
da beleuchtet der Strahl einer Laterne die rnuhen, aus dem Dünkel
auftauchenden Gestalten. Rechts sind die Engelein aus demfHimmel
herabgekoniineii, keine nackten Amoretten im Sinne' der Italiener,
sondern die abgeschiedenen unschuldigen Kindlein, in weissen Kleid-
chen, mit Blumen im Haar.
Uhde wirkte in allen diesen Bildern als ein hervorragender
Maler und grosser Psycholog. Es ist wunderbar, wie in seinem
Bilde, wLasset die Kindlein zu mir kommen ((7 das Licht leise in den
Raum hereinrieselt, die Blondköpfe der Kinder mit goldenem Glanz
umschmeichelt und über die Strohmatte des Bodens huscht. Die
ganze Luft ist von Klarheit durchzittert, Alles in feine silbergrauc
Harmonien getaucht. Eine feierliche Lichtpoesic umspielt auf dem
Bilde der Anbetung des Kindes die Gestalten. Von draussen strömt
der matte Schein der hellfunlaelnden Christnncht herein, im V order-
grund wirft eine Laterne bald hier, bald dort einen röthlichen Strahl
durch das geheimnissxrolle Dunkel. Beim vGang nach Bethlehenw
ist lockerer Schnee gefallen, die Nacht ist über die Wanderer ge-
kommen, der Wind spielt mit dem Blondhaai" der jungen Frau, zaust
an ihrem ärmlichen Gewande, fern blinken die Lichter des Dorfes,
tannenbaumtluftige Weihnachtspoesie liegt über der Landschaft. Und
Wie reich an feinen seelischen Beobachtungen ist jedes seiner Werke.
Es geht etwas Mildes, Inniges, gemüthvoll Idyllisches durch Uhdes
Kunst. Sein Christus, der stille Mann, der so sanft die Hand auf-
legt, so leise und geisterhaft sich bewegt, ist die verkörperte Güte,
die lebendige Menschenliebe. Die Maria auf der wAülJßtLlllg des
Kindesa ist keine schöne Frau, aber das Gefühl ihrer Mütterlichkeit
verklärt sie so wie Millet schrieb, wwenn ich eine Mutter zu malen
hätte, WÜfdC ich sie schön machen allein durch den Blick, den sie
auf ihr schlummerndes Kind richtete. Ganz meisterhaft sind auf
der wßergpredigte die manigfacheil Regungen naiver Demuth, frommer
Andacht, echter Herzenserhebtmg und Erbauung geschildert. Aus
den weitgeöl-fueten blauen Augen der beiden Frauen wie aus den
sonneverbrannteri Gesichtern der Männer spricht ein unnennbares
Sehnen, ein heisses Verlangen nach vollem Verständniss der Worte.
Ganz allerliebst ist der zierliche Engel, der auf dem Bilde der Ver-