638
DEUTSCHLAND
Uhde hat solche Darstellungen aus dem modernen Leben seitdem
noch häufig gemalt und gehört überhaupt zu den vielseitigsten, um_
Wandlungsfähigsten Meistern der Gegenwart. 1884 hatte er auf der
Münchener Ausstellung die übenden Trommler, 1888 eine Kinder-
procession, die in ihrer prickelnden Lebendigkeit an Menzel streifte,
1889 eine Kinderstube und ein i)Haideprinzesschenq, wie es Bastien-
Lepage in Dachau gemalt haben Würde. 1890 stellte er sich durch
ein Damenporträt in Schwarz, 1893 durch seinen nSClmUSplClGfe den
bedeutendsten Münchener Porträtisten zur Seite. Immer reicher wird
seine Sprache, immer kräftiger seine Pamlette. Ein Mann von zäher
Arbeitskraft, kann er genug, um an Alles heranzutreten und wird
voraussichtlich noch durch viele hervorragende Bilder aus den ver-
schiedensten Stoürkreisen überraschen.
Doch seine nachhaltigsten Erfolge, verbunden mit den heftigsten
Anfeindungen, die ebenfalls dazu beitrugen, seine Arbeiten noch be-
kannter zu machen, hat er als Bibehnaler erzielt. Das erste dieser
YVerke, das im Museum von Leipzig befindliche xLLISSCC die Kindlein
zu inir führte in eine Schulstube. Man sah einen holländ-
ischen Backsteinboden und jene Strohmatten, Rohrstühle und Blumen-
stöcke, die später so gern von den Münchener Malern verwendet wur-
den, auch jene breiten Hinterwandsfenster, die seitdem zum Inventur
der Münchener Schule gehörten. Inmitten dieses Raumes standen
niedlich linkisch in ihren grossen Holzschuhen allerliebste Bauern-
kinder, die einen aufmerksam neugierig, die andern verlegen und
schüchtern. Die hübsche Kleine vorn reichte mit köstlicher Zutraulich-
köit
dem
auf
dem bleuichcn
holländischen Rohrstuhl
sitzenden
Fremd-
ling die Hand, der während des Religionsunterrichtes in das Zimmer
getreten. Und dieser Fremde war Christus.
Das Bild wurde wegen dieser Figur auf der Ausstellung 1884
die Zielscheibe erbitterter Angrihce. Doch Uhde liess sich nicht irre
machen, sondern ging ruhig seinen Weg. wKomm, Herr jesu, sei
unser GLISIK war die zweite Strophe seines biblischen Epos. In der
WVohnung eines armen Handwerkers hat sich die Familie zum Mittag-
essen versammelt, das Tischgebet soll gesprochen werden, als eine
hagere Gestalt in langem faltigen Rock mit einem lichten Schein
über dem Hatnpte Christus hereintritt. Der Handwerker ninnnt
die Mütze ab und begrüsst mit ehrfurchtsvoller Geberde den Gottes-
sohn. In stiller, unatlectirter Liebe blicken die Uebrigen zu ihm auf.
Von hinten durch ein schmales Fenster quillt das Licht herein und