Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

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DEUTSCHLAND 
in Deutschland offenbarte die wunderbare Stimmungskrztft, die musikal- 
ische Innerlichkeit der Farbe. Schon in jenen Jahren, als allenthalben 
der braune Galerieton herrschte, trieb bei ihm die Farbe, Llnabhängig 
von ihrem Amt, das blosse Charakteristicuin der Form zu sein, ihr 
eigenes selbständiges Wesen. Das Grün war ihm sehr grün, das Blau 
ein seliges Blau, das Roth ein jubelndes Roth. Zur selben Zeit, als 
Richard Wagner der Musik Klangfarben entlockte, von einer Leucht- 
kraft und einer Gluth, wie sie noch kein Meister vorher erweckte, 
HuthetenBoecklins Farbensymphonien gleich einem brausenden Or- 
chester daher. Die ganze Scala stand ihm zur Verfügung, von 
dunkelster Tiefe bis zu farbigstem Licht. In seinen Frühlingsbildern 
frohlockt, lacht, jubelt die Farbe. In der Todteninsel ist's, als breite 
ein TrauerHor sich über das Meer, den Himmel, die Bäume, Und 
Boecklin ist seitdem immer grösser geworden. Sein rauschendes Meer- 
grün, durchsichtiges Aetherblau und violettdunstiges Abendroth, seine 
gelbbraunen Felsen, rothschimmernden Seemoose und weissen Mädchen- 
leiber fügen sich zu immer neuen, glühend sinnlichen Harmonien zu- 
sammen. Viele seiner Bilder sind von so berückendem Glanz, dass 
das Auge sich unersättlich in ihr wogendes Flimmern hineinwühlt. 
Spätere Generationen werden ihn wohl als den grössten Farbendichter 
des jahrhunderts feiern. 
Und sie werden aus seinen Werken zugleich ersehen, dass es am 
Schlüsse dieses haltlosen Saeculums auch noch ganze, gesunde Men- 
schen gab. Je mehr das moderne Gefühl sich frei machte, je mehr 
die Künstler wagten, nicht mehr mit den Nerven früherer Genera- 
tionen, sondern mit ihren eigenen zu fühlen, desto mehr zeigte sich 
auch, dass dies moderne Gefühl fast immer ein verstörtes, friedlos 
verzweifeltes, lebensmüd tmglätibiges ist. Schon Rossetti, Burne-jones, 
Gustave Moreau und Puvis de Chavannes sind überreizte, raffinirt 
naive, ungesunde Geister. Fast immer geht durch ihre Werke etwas 
Zerrissenes, Psychopathisches. Schrille Klänge von zitterndem Sehnen 
und schwermüthigei" Entsagung brechen überall durch. Frühe Blasirt- 
heit, der Anfang vorzeitiger Sterilität hat die jüngeren ergriffen. Sie 
treten als Dreissigjährige mit guten Werken hervor, wiederholen sich 
dann, verstummen und leben fort als Zerrbilder ihrer früheren Be- 
deutung. Boecklin, der modernste von Allen, besitzt zugleich die 
tinmoderne Eigenschaft einer eisernen Gesundheit. Es gibt  ein 
Selbstporträt von ihm, auf dem er, den linkenArm in die Seite ge- 
stemmt, in der Rechten wie Rembrandt ein Weinglas haltend, in
	        
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