620
DEUTSCHLAND
in Deutschland offenbarte die wunderbare Stimmungskrztft, die musikal-
ische Innerlichkeit der Farbe. Schon in jenen Jahren, als allenthalben
der braune Galerieton herrschte, trieb bei ihm die Farbe, Llnabhängig
von ihrem Amt, das blosse Charakteristicuin der Form zu sein, ihr
eigenes selbständiges Wesen. Das Grün war ihm sehr grün, das Blau
ein seliges Blau, das Roth ein jubelndes Roth. Zur selben Zeit, als
Richard Wagner der Musik Klangfarben entlockte, von einer Leucht-
kraft und einer Gluth, wie sie noch kein Meister vorher erweckte,
HuthetenBoecklins Farbensymphonien gleich einem brausenden Or-
chester daher. Die ganze Scala stand ihm zur Verfügung, von
dunkelster Tiefe bis zu farbigstem Licht. In seinen Frühlingsbildern
frohlockt, lacht, jubelt die Farbe. In der Todteninsel ist's, als breite
ein TrauerHor sich über das Meer, den Himmel, die Bäume, Und
Boecklin ist seitdem immer grösser geworden. Sein rauschendes Meer-
grün, durchsichtiges Aetherblau und violettdunstiges Abendroth, seine
gelbbraunen Felsen, rothschimmernden Seemoose und weissen Mädchen-
leiber fügen sich zu immer neuen, glühend sinnlichen Harmonien zu-
sammen. Viele seiner Bilder sind von so berückendem Glanz, dass
das Auge sich unersättlich in ihr wogendes Flimmern hineinwühlt.
Spätere Generationen werden ihn wohl als den grössten Farbendichter
des jahrhunderts feiern.
Und sie werden aus seinen Werken zugleich ersehen, dass es am
Schlüsse dieses haltlosen Saeculums auch noch ganze, gesunde Men-
schen gab. Je mehr das moderne Gefühl sich frei machte, je mehr
die Künstler wagten, nicht mehr mit den Nerven früherer Genera-
tionen, sondern mit ihren eigenen zu fühlen, desto mehr zeigte sich
auch, dass dies moderne Gefühl fast immer ein verstörtes, friedlos
verzweifeltes, lebensmüd tmglätibiges ist. Schon Rossetti, Burne-jones,
Gustave Moreau und Puvis de Chavannes sind überreizte, raffinirt
naive, ungesunde Geister. Fast immer geht durch ihre Werke etwas
Zerrissenes, Psychopathisches. Schrille Klänge von zitterndem Sehnen
und schwermüthigei" Entsagung brechen überall durch. Frühe Blasirt-
heit, der Anfang vorzeitiger Sterilität hat die jüngeren ergriffen. Sie
treten als Dreissigjährige mit guten Werken hervor, wiederholen sich
dann, verstummen und leben fort als Zerrbilder ihrer früheren Be-
deutung. Boecklin, der modernste von Allen, besitzt zugleich die
tinmoderne Eigenschaft einer eisernen Gesundheit. Es gibt ein
Selbstporträt von ihm, auf dem er, den linkenArm in die Seite ge-
stemmt, in der Rechten wie Rembrandt ein Weinglas haltend, in