DEUTSCHLAND
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mächtigen Naturgefühl, das
einst die Gestalten ' des
griechischen Mythus gebar.
Wenn der alte Grieche vor
einem Wasserfall stand, gab
er dem Gesehenen mensch-
liche Gestalt. Sein Auge
erblickte die Umrisse
schöner nackter Weiber, die
Nymphen des Ortes, im fal-
lenden. Strom der Kaskade;
der Schaum war ihr Hat-
terndes Haar, er vernahm
ihr muthwilliges Plätschern
und Lachen im Wasser-
geriesel und im Aufspritzen
des Schatumes. Das elemen-
tare NHIUFWZIlIGD, das ge-
heimnissvolle Weben der Na-
turkräfte verkörperte sich zu
plastischen Formen:
Alles wies den eingeweihten Blicken,
Alles eines Gottes Spur
Diese Höhen füllten Oreaden,
Eine Dryas lebt in jedem Baum,
Aus den Urnen lieblicher Najaden
Sprang der Ströme Silberschaum.
jener Lorbeer wand sich einst um Hilfe,
Tantals Tochter schweigt in diesem Stein,
Syrinx' Klage tönt aus jenem Schilfe,
Philomelas Schmerz aus diesem Hain.
Durch den gleichen Seelenvorgang erstehen die Wesen, die
Boecltlins Bilder bevölkern. Er hört Bäunie, Flüsse, Berge, die ganze
Natur flüstern wie mit menschlicher Sprache. Jede Blume, jeder
Strauch, jede Flannne, die Felsen, Wogen und Wiesen, todt und un-
emphndlich dem gewöhnlichen Auge, führen für ihn ein eigenes
lebendiges Dasein, so wie die alten Dichter den Blitzstrahl für einen
feurigen Vogel, die Wolken für die Heerden des Himmels hielten.
Die Steine nehmen eine Stimme an, die weissen Mauern verlängern