600
FRANKREICH
XLIX.
Heiland dankt, berauscht sich der Mensch am Athem des Weibes. In
sinnlicher Brunst bedeckt er ihren Busen, ihre Hüften mit Küssen,
glaubt Gott anzubeten in diesem strahlenden Körper. Da fühlt er,
wie ihr Leib sich bewegt, ihre Arme ihn umfassen, ihr Schooss
sich öffnet. WVollüstig, mit den Bewegungen der Dirne windet sie
die Hüften, wirft ihm Küsse zu, die in der Luft sich in Rosen ver-
dichten. Das rothhaarige Mädchen ist's mit dem vollen Butsen, das
er jenes Abends am Brunnen gesehen. Hinter ihr am Boden liegt
zerschellt das Bild des Gekreuzigten. Der Dämon hat ihn genarrt,
löst als eine hagere, pferdefüssige Gestalt aus dem üppigen Weiber-
körper sich los und verschwindet mit höllischem Gelächter im Nebel.
Rops steht in der Art, wie er diese Dinge behandelt, ohne jeden
Vorgänger in der Kunstgeschichte da. Auch die Alten seit Salomo,
Aristophanes, Catull, Ovid und Martial hielten nicht zimperlich vom
erotischen Gebiete sich fern. Aber Giulio Romano und Annibztle
Carracci wirken doch nur lasciv, Fragonard und Baudouin frivol
tändelnd. Urwüchsig derb sind die Obscoenitäteu von Rubens und
Rembrandt, hysterisch verzerrt die grausam sinnlichen Erfindungen
der Japaner. Rops lässt neue grosse Töne erklingen. Manche seiner
Blätter wirken wie Epopoeen, religiös und mystisch zugleich. Da wo
sonst die ewige Liebe vom Kreuz herab dem Menschen die Hand
bot, triumphirt heute die Wollust, und die Menschheit liegt ihr betend
zu Füssen. Statt der Buchstaben IN RI prangt das Wort EROS am
Kreuze, und wie der Kriegsknecht mit der Lanze in jesu Hüfte
sticht, zeigt Beelzebub mit dem Stock auf den Leib des Weibes: In
diesem Becken wird das All verschwinden. Rops Todtentanz der
Liebe ist gleichsam die letzte Form, die die alten Todtentänze, jene
ehrwürdigen katholischen Legenden, in der Hand eines Modernen
annahmen. Nur Baudelaire, Barbey d'Aurevilly und Edgar Poe haben
für die geheimnissvolle Allmacht der Wollust solche Töne gefunden.
Als Maler ist vorläufig Fernand Klznopjf der einzige, der unter
Anschluss an Maeterlinck und die literarischen Decadents etwas In-
tellectuelles, Geistiges, Delicates in die lleischfroh sinnliche vlämische
Kunst gebracht hat. Er verlebte seine jugendjahre in der Stadt Hans
Memlincs. Eine Welt mysteriöser Gefühle ruhte im schummerigeii
Halbdunkel dieser Kirchen, über den geweihten Sälen des Johannes-
hospitals und über diesen ruhigen Strassen, wo man keinen Schall
als den der eigenen Fusstritte und selbst diese nur abgedämpft hört,
da Moos und Gras die von Zeit und Regen glatt gewaschenen Steine