Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

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XLIX. 
FRANKREICH 
modernem Costüm; eine gewollte Einfachheit, die nichts von aka- 
demischer Aktmalerei hat, spricht aus der Formgebung. Selbst die 
Landschaft führt er auf ihre Grundformen, auf ihre wesentlichen 
ausdrucksvollen Zuge zurück. Allein durch eine gewisse Concordanz 
der Linien, einen bestimmten Rhythmus der Form erreicht er die 
ernst feierliche oder idyllische Stimmung. 
Die Quattrocentisten, namentlich Ghirlandajo, waren ihm für 
diese epische Einfachheit vorbildlich, und er wirkt neben Baudry, 
dem geistreichen und geschickten Decorateur der modernisirten Hoch- 
renaissance wie ein wiederaufgelebter Primitiver. Seine Bilder haben 
etwas duftig Archaisches; Priesterliches, wenn man will, etwas Seraph- 
isches, Heiliges. Oft glaubt man ausser Fra Angelico namentlich den 
Einfluss alter Teppiche wahrzunehmen, aber weiss doch kein Vor- 
bild anzugeben, dem er copirend sich anschloss. Und was ihn, wie 
Moreau, in scharfen Gegensatz zu den Alten stellt, ist, dass statt deren 
sonnig lächelnder Heiterkeit auch bei ihm jene melancholisch- schwer- 
müthige Stimmung herrscht, die erst der Schluss des 19. Jahrhunderts 
in die Welt brachte. 
Als er, ein Landsmann Flandrins und Chenavards, vor fast 
einem halben jahrhundert bei Couture seine Laufbahn begann, ver- 
stand die Welt seine Bilder noch nicht. Man tadelte die Armuth 
seiner Palette, versicherte, dass sie zu einfach und beschränkt in 
ihren htrbigen Mitteln sei, man nannte ihn einen Eastenmailer, einen 
vpöllltfö de caremea, dessen mattes Auge in der Natur nur un- 
schöne Linien, einförmig graue Töne bemerke. Namentlich die 
Damen waren gegen ihn  sie sahen eine persönliche Beleidigung 
in seinen mageren Gestalten. Auch die ruhige Unbeweglichkeit 
der Figuren tadelte man und hiess ihn, als er 1854 seine ersten 
Bilder gleichzeitig mit Courbet ausstellte, einen fou tranquille, so 
wie man jenen einen fou furieux taufte. Später hat er gerade durch 
diese beiden Eigenschaften, seine grandiose Ruhe und seine sanämischea 
Malerei, die Welt in seinen Bann gezogen und die französische Kunst 
in neue Bahnen gelenkt. 
Wie seine Landschaften keinen bewegten NVolkenzug kennen, 
nichts Abruptes, keinen Kampf der Elemente, so vermeiden auch die 
Figuren jedes grossrednerische Pathos. Sie sind ewig jung, frei von 
brutalen Leidenschaften, von einer Atmosphäre der Ruhe und des 
Vergessens umfiossen. Mag er das alte Hellas oder stilles Klosterleben 
heraufbesclnvöfen, stets liegt über Gestalteniund Landschaft milde
	        
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