Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

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XLIX. 
FRANKREICH 
lagert, die über den Trümmern mittelalterlicher Bauwerke Sinnen; 
auf der andern Seite eine Frau, die auf den Knieen ein Kind hält, 
eine andere, die einen fruchtbeschwerten Ast zu ergreifen sucht, und 
rings eine Gruppe von Malern, die die Anmuth dieser einfachen, har- 
monischen Bewegung entzückt betrachten. 
Puvis de Chavannes ist kein virtuoser Techniker; er ist für 
einen Franzosen fast Lingeschickt, sehr wenig seines Handwerks 
sicher. Leicht möglich, dass eine spätere Zeit ihn nicht unter die 
grossen Maler wird rechnen wollen. Aber was sie nie vergessen 
kann, ist, dass er die decorative Kunst nach einer Zeit langer Ver- 
irrungen überhaupt zu ihrer eigentlichen Bestimmung zurückführte. 
War bisher das Gute an der sogenannten monumentalen Malerei 
des 19. jahrhunderts in der Regel nicht neu, sondern glücklicheren 
Zeiten entnommen, so war das Neue an ihr, das erzählende Ele- 
ment, nicht gut oder wenigstens nicht geschmackvoll. Als Paolo 
Veronese seine Bilder im Dogenpalast oder Giulio Romano seine 
Fresken der Sala dei Giganti in Mantua schuf, dachten beide nicht 
an die Mission der Volkserziehung, an Erweckung patriotischer 
Gefühle, sondern wollten nur malerisch, festlich, stinnnungsvoll 
wirken. Enipßndungeia und Träume wecken, feierlich stimmen, das 
Auge erfreuen und den Geist erheben, war die Aufgabe der Maler, 
tienen die YVäntle eines Baues zu schniüclaen anxtertraut wurden. Was 
sie gaben, war decorative Musik, die mit ihrer Feierlichkeit das Haus 
erfüllte, wie weihevollei" Orgelklang die Kirche durchtönt. Ihre Bilder 
verlangten keinen Commenta1', keine Anstrengung des Gehirns, keine 
geschichtliche Vorbildung. Die Malerei, die im I9. Jahrhundert bei 
(ifficiellen Gelegenheiten auftrat und wegen ihrer pädagogischen Wirk- 
samkeit von den Regierungen tinterstützt wurde, durfte nicht mit 
dieser allgemeinen Stimmung sich begnügen, musste die Farben 
stärker auftragen, nicht zur Empiinthing, sondern zum Verstande 
sprechen. Beschreibende Prosa trat an die Stelle der Lyrik. 
Puvis de Chavannes ging auf das wahre Princip der Alten zu- 
rück, indem er auf jeden lehrhaften Inhalt verzichtete. Wenn im 
Pariser Pantheon von all den ehrenwertheii Panneatix, mit denen 
die anerkannten Meister der schönen Linie den Tempel der heiligen 
GCHOVCfLI illustrirten, das Auge hinübersclwveift zu den Werken Puvis', 
von Ludwig dem Heiligen, Chlodwig, Jeanne diArc und Dionysius 
sanctus hinüber zurjugend der heiligen Genovefa, so ist's, als ginge 
man von einer trockenen Weltgeschichte zur Lectüre der Virgifschen
	        
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