XLIX.
FRANKREICH
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schaften erstreckt sich sein Schmuckbedürfniss. Sie sind unwahrschein-
lich, viel zu schön, viel zu reich, viel zu seltsam, um in Wirklichkeit
vorzukonnnen, aber sie stehen in inniger Harmonie mit dem Charak-
ter dieser reichgekleideten Figuren, die wie melancholisch mystische
Traumgestalten in ihnen Wandeln. Die capriciöse Renaissancegene-
ration hat zuweilen classische Stoffe in diesem Sinne behandelt, nur
ist zwischen Filippino Lippi und Gustave Moreau der gleiche Unter-
schied wie zwischen Botticelli und Burne-jones: dass jener wie
Shakespeare im Sommernachtstrauin die Antike in ein frohes,
phantastisches Märchenland verwandelte, während in Moreaus Bildern
die Flamme sehnsüchtiger Romantik sprüht, die einst aus Hölderlins
armem Dichterherzen lodernd emporschltig.
Sein sOrpheusa ist eines seiner bezeichnendsten und schönsten
Werke. Nicht aus der antiken Tragödie hat er die Coniposition ge-
nommen. Das Drama ist beendet. Orpheus ist von den Mänaden
zerrissen, die Glieder des Sängers sind zerstreut über die eisigen Ge-
Hlde der hyperboreischen Lande. Sein Kopf, von der für immer
stummen Lyra getragen, ist an dem Ufer des Erebos gestrandet. Die
Natur, in geheiznnissvoller Ruhe, scheint zu schlafen. Man sieht
ringsum nur stehende Gewässer und bleiches Licht, hört nichts als
den Ton einer grellen, kleinen Flöte, die ein am Felsen sitzender
barbarischer Hirte pfeift. Eine thracische Jungfrau, das Haar mit einem
Kranze geschmückt, sehr ernst, hat das Haupt des Sängers aufgehoben
und betrachtet es lange, ruhig. Ist es nur Mitleid, was in ihren Augen
liegt? Ein romantisches Griechenthuni, eine tiefe Melancholie geht
durch das Bild, der antike Roman endet mit einem Schrei der Liebe.
In seinem aOCÖlPLISa von r864 und dem wI-Ieraklesa von 1878
behandelte er Kampfscenen das heroische Ringen zwischen Mensch
und Thier, und auch in diesen beiden Bildern ist keine Gewaltsttm-
keit, keine Heftigkeit, keine Bewegung. In schrecklichem Schweigen
kreuzen auf dem Bilde des wOedipus und der Sphinxa die beiden
Gegner die Blicke, ihr Athem mischt sich. Wie ein lebendiges Räthsel
starrt das geflügelte Wesen den Fremdling an, doch der Jüngling
111it den langen Haaren steht so ruhig vor ihr, dass man fühlt: er
keimt das entscheidende Wort.
Auf dem Bilde aHelena vor den Mauern Trojasa hebt die Ge-
stalt der Zauberin, unbeweglich dastehend, wie eine Goldelfenbein-
statue von bluttrothem Horizonte sich ab, bekleidet mit einer Robe,
die wie ein Reliquienschreiii von bunten Steinen und Diamanten