Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

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XLVII. 
EN GLAN n 
von allen Malern der Gegenwart  nächst Böcklin  er die meiste 
Aussicht hat, ein alter Meister zu werden. Burne-jones Kunst ist 
bei all ihrer geistigen Selbständigkeit in ihrem äussern Gewand von 
gesuchtem Manierisintis. Die Empfindung ist frei geworden, doch die 
Foringebting hält sich in alten Grenzen. Es ist nicht ausgeschlossen, 
dass spätere Generationen, für die das speciiisch Moderne seines 
Enipfindungslebens mehr sich verwischt, ihn wegen seines zeichner- 
ischen Archaismus ebenso zu den Eklektikern rechnen werden wie 
wir heute Overbeck und Führich. Watts gegenüber kann das nicht 
geschehen. Seine Werke sind der Ausdruck eines von der Ver- 
gangenheit und den Atigenblicksneigungen der Gegenwart gleich un- 
abhängigen Künstlers. Seine Formensprache arbeitet mit keinen der 
Antike oder dem Quattro- und Cinqtiecento entlehnten Schönheits- 
linien, sie ist eine ganz eigene, die er selbst sich geschaffen. Keine 
Gelehrsamkeit, keine von der Renaissance überkommenen Attribute 
und Symbole hat er nöthig, um seinen Allegorien Körper zu geben. 
Eine neue typenbildende Kraft setzt bei ihm ein, und seine Gestalt 
des Todes  dies grosse, in Weiss gekleidete Weib mit dem hohl- 
wangigen, fahlen Gesicht, den leblosen, eingesunlaenen Augen  
ist nicht minder überzeugend als der Genius mit der umgekehrten 
Fackel oder das burleske Knochengeripp des Mittelalters. Dazu kommt 
ein Zug der Tiefe und einfachen Grösse, der in unserer Zeit ganz 
einzig. Gerade der empfindlichere Nervenappzirat, der uns im Gegen- 
satz zu den Alten eigen, hat auch den Kunsterzetignisseti der Gegen- 
wart gemeinhin einen Zug des Capriciösen, Verstörten, tinrtihig Ueber- 
reizteu gegeben, der sie zurückstehen lässt hinter denen der Alten. 
Watts ist vielleicht der einzige, der diese Annäherung in jeder 
Hinsicht verträgt. Ein Mann, der fern vom Ausstellungsgeräusch 
voll sich ausleben konnte, der gesund und frisch noch als Greis wie 
ein Jüngling schafft, ist er auch in seiner Kunst immer einfach, ab- 
geklärt, ernst, grandios, feierlich, von monumentaler Erhabenheit. Die 
Gegenwart könnte ihn  ohne dass Nachahmung Vorlage  direct 
aus der Renaissance übernommen haben, so tief ist sein Sinn für 
Schönheit, so condensirt und tinmittelbar seine gestaltende Kraft. 
Ich wüsste nicht, wer von den Jetztlebenden eine Scene wie die 
vom Tod und der Liebe so ruhig ohne rhetorische Geberden und alle 
Mittelchen theatralischer Inscenirung verkörpern würde. Alles hat 
Stil bei Watts, keinen äusserlich nachempfundenen, sondern einen 
eigenen, einen Stil, den ein bedeutender Mensch, ein Denker und
	        
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