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XLVII.
ENGLAND
Malt er eine Venus, so siegt sie nicht durch
ihre Nacktheit, sie trägt ein schweres, broka-
tenes Gewand, und um sie herum liegen Sym-
bole des christlichen Märtyrerthums, Palmen,
vielleicht eine Leyer. Nicht ihres Körpers
_Ü "-3 Schönheit macht sie zur Liebesgöttin, nur das
Geheimniss, das in ihren strahlenden Augen
dämmert. Nicht die Olympierin ist sie, die
das lustige Abenteuer mit dem Kriegsgott Mars
I3 bestanden unter dem Gelächter der himmel-
bewohnenden Götter, sie ähnelt in ihrer
1- N- 5lrudwißk- mönchischen Zerknirschting mehr der schönen
Teufelin des Mittelalters, die auf ihrem Zug
in's Exil an dem Kreuze, wo der Menschensohn hing, vorbei watllte
und alle Bitterkeit der Jahre gekostet. Seine Madonnen haben in ihren
mild gefassten Zügen eine leise Trauer, die bei den italienischen selten
sich Endet. Selbst die Engel, im Quattrocento schalkhaft und muth-
willig, verrichten mit feierlichem Ernst ihr_ Amt, und durch ihre ver-
ehrende Andacht zieht eine verhaltene Wehmuth. Bei Botticelli sind
sie jugendfrische, leichtgeschürzte Gestalten mit Hatternden Locken, ge-
bauschten Gewändern und schmiegsamem Körper, sei es, dass sie in
seligem Taumel die Madonna umschweben oder in begeisterter Verzück-
ung zum Christkind aufblicken. Bei Burne-Jones werden sie tiefernste,
düster andächtige Wesen, die so gedankenvoll, so träumerisch passiv
vor sich hinstarren, als hätten sie schon den ganzen Kummer der Welt
erfahren. Ihre Glieder sind wie gelähmt, ihre Bewegungen müde.
'Man kann kein Bild von ihm sehen, ohne an die Florentiner des
I5. Jahrhunderts zu denken, aber erkennt auch sofort, dass Burne-
Jones es geschaffen. Selbst zu Rossetti, seinem Herrn und Meister,
stellt er sich durch dieses melancholische Element in Gegensatz: auf
den Opiumrausch folgt die Ernüchterung.
Rossettis Frauen sind blendend prachtvolle Gestalten von mo-
derner, grausam überlegener Schönheit: Schwestern Messalinens,
Phaedras, Faustinens. Er zeichnet sie als üppige Wesen mit herr-
lichem, geschmeidigem Leib, langem, weissem Hals und schneeig
schimmerndem Busen; mit vollem, duftigen Haar, heissen, lechzen-
den Augen und dämonischen Lippen. Ihre Mutter ist Venus Verti-
cordia, die Rossetti so oft malte. Grausam in ihrer Liebe wie eine
Naturgewalt, gleichen sie jener singenden Nixe mit korallenrothem