Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

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XLVII. 
ENGLAND 
geschwungenen, leise geöffneten Mund. Burne-joues Malerei gleicht 
einem jener vergoldeten Blumentische, wo Gewächse aller Zonen ihre 
Schlingpiittnzen und ihren Bliitterschinuck, ihre Trauben und Kelche, 
ihre Wohlgerüche und wunderbare Farbenpracht in künstlicher Har- 
monie durch einander mischen. Seine Kunst ist in ihrem gesuchten 
Archaismus eine gezierte, gekünstelte Kunst und würde wohl so rasch 
wie jene üppigen exotischen Pflanzen verblühen, wäre dieser Schüler 
der Italiener nicht doch auch X701]blutengliinder, dieser Primitive nicht 
auch Decadent, dieser wiedererstandene läotticelli nicht an der "Themse 
echt britisch geworden. 
Burne-Jtmes verhält sich zu Botticelli ebenso, wie dieser selbst 
der Antike oder wie Swinburne seinen literarischen Vorbildern 
gegenüberstantl. Swinburne hat als feinsinniger Archaolog alle Stil- 
arten reproducirt: die Sprache des alten Testamentes, die Formen 
Griechenlands und das naive Gestammel ritterlicher Sänger. Er 
schmückt seine Strophen mit allen seltenen Metaphern, die jemals 
in den Literaturen aller Zeiten blühten. Sein Drama wAtzilanttm ist 
bis auf die Chorgesange eine genaue Nachbildung der sophokleischeit 
Tragödien. In der Ballade wvom Lebens ahmt er sorgfältig den Stil 
der Canzonettdichter nach, die auf Dante und die frühesten italien- 
ischen Lyriker folgten. In aLHUS Venerisßß erzählt er die Geschichte 
von Tannhiiuser und Frau Venus nach Art der fianzösischen 
Romantiker des 16. Jahrhunderts; Sant Dorothee ist eine getreue 
Wiederaufnahme von Chaucers eigenthümlichem Erzahlungsstil; das 
wWeihnachtslieda schliesst geschmeidig den proxiencalischen Refrain- 
Balladen sich an. Selbst die ältesten Mytsteriengesiinge reproduciren 
einzelne Gedichte so täuschend, dass sie in der Form mit echten zu 
verwechseln waren. Aber den Inhalt der Swineburiiescheii Strophen 
würde ein früherer nie geschrieben haben. Es ist tiudenkbar, dass 
ein griechischer Chor das Lied gesungen hätte von der Erschlaffung 
des Menschen, von den Geschenken der Trauer und der Thriinen 
oder den Hymnus an Aphrodite, die todbringende Blume, die aus 
Meerschaum und Blutgischt geboren ward. Wenn er in sHesperiaQ 
einen Mann, der bis zum Uebermatss geliebt und in Roms wilden 
Genüssen allzu viel gelitten hat, bleich und ermattet in's goldene 
Westmeei" hinaussegeln lasst, um dort die wglücklichen IHSClIM zu 
erreichen und Ruhe vor dem Tode zu finden; wenn er in seinen 
wHendekasyllabena in classisch gemeisselter Sprache über das schnelle 
Hinschwinden des Schönen klagt und über gelreimnissvtvlle Krank-
	        
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