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XLVII.
ENGLAND
gesunken. Die geflügelte Gestalt des Liebesgottes in rother Draperie
(der Pilger-Liebesgott aus Vita nuova, die Kammnitischel auf der
Schulter tragend) führt Dante, der vorsichtig und wie schlafbefztngen
daherschreitet, vor das Sterbelager der Todten und gibt, über den
Sarg gebeugt, Beatrice den Kuss, den sie von dem Geliebten nie
erhalten hatte, während zwei in grüne Gewänder gehüllte Traum-
göttinnen das mit Weissdornblüthen bestreute Bahrttich einen Augen-
blick emporhalten, ehe es das Antlitz für immer bCLlECkLa Mit er-
staunlicher Intensität ist der Ausdruck der Verzückung in Datntes
Gesicht und die stille, engelhafte Anmuth der Beatrice gegeben. Sie
liegt im Sarge, bleich wie eine Blüthe, in einen weissen Schleier
gehüllt, eine Lilie in den gefalteten Händen, nicht wie todt, sondern
wie entschlummert, die Lippen geöffnet, als athme sie leise. Ihr
blondes Haar umfliesst sie in goldenen Wellen. Wie ein Spiegel
gibt die Bettdecke in verschwimmenden Falten die marmornen Formen
des Körpers wieder. Ein seliges Lächeln umspielt die reinen, klaren
Züge des lieblichen Antlitzes.
Und diese vSeelenmalereia hat Rossetti fast atlsschliesslich in der
dritten und fruchtbarsten Periode seines Lebens beschäftigt, in der er
fast keine grösseren Bilder, sondern nur einzelne, mit verschiedenen
poetischen Attributen versehene weibliche Gestalten malte, deren
tiefern Sinn seine Gedichte vermitteln. Das Bild wThe Spllinxe, in
dem er sich mit dem grossen Riithsel des Lebens beschäftigt, ist
das einzige, das noch mehrere Figuren enthält. Drei Personen, ein
Jüngling, ein reifer Mann und ein Greis, wollen die geheime Höhle
der Sphinx suchen, um die Allwissende nach ihrem Schicksal zu
fragen. Nur der Mann stellt wirklich die Frage, der Greis schleppt
sich mühsam zur Höhle, während der Jüngling, vom Lauf erschöpft,
schon vor dem Ziel sterbend zu Boden sinkt. Die Sphinx verharrt
in undtirchdringlichem Schweigen, mit ihren grünen unerforschlichen
Riithselzitigen kalt und gefühllos in's Unendliche starrend. The Blessed
Damozel, Proserpina, Fiammetta, The Day Dream, La Bella Mano,
La Ghirlandata, Veronica Veronese, Diis manibus, Astarte Syriaca sind
sämmtlich Einzelgestalten zuweilen auf Goldgrund die dem
Andenken der Elisabeth Siddal geweiht sind. Wie Dante seine Bett-
trice, so feiert Rossetti in Gedichten und Bildern das jung verstorbene
Weib. Er malt sie als wBlCSSCCi DZIITIOZClx mit sanftem Heiligenantlitz,
stillem Mund, fliessendem Goldhaar und tiefinnerlichen, friedenvollen
Lidern. Oder stellt sie dar als einen Engel Gottes, wie sie am Thore