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ENGLAND
XLVII.
vernachlässigt in seiner Kleid-
ung, hatte er bei flüchtiger
Begegnung nichts Bestech-
endcs. Aber sein bleiches
Gesicht war verklärt durch
ein merkwürdig sinnendes,
tief uinschleiertes iiinner-
liClICSx Auge; um seine trotz-
igen Lippen spielte das odi
proiinum einer vornehmen
Seele, und seine jugendliche
Stirn bekriinzte schon der
Lorbeer des Ruhmes. Gleich
als er 1849 seine ersten Bilder
ausstellte, hatte er im 260111144
ausser zahlreichen Gedichten
eine mystisch-Visionäre Prosa-
skizze vHand und Seelea ver-
öffentlicht, die in der geist-
igen Elite Londons grossen
Beifall fand. Bald darauf trat
er mit einem Bande xThe early Italian poetsa hervor, worin er eine
Anzahl 21ltiT3llCI1iSCl]Cl' Dichtungen, darunter Dantes Vita nuova, in
streng archaisirende englische Prosa tibertrug. So zurückhaltend gegen
Fernstehende, von so bGSt1'iCl{CIlLlCl' Liebenswürdigkeit war er gegen
Freunde, und seine geistreiche, sympathische Conversation gewann
ihm die Neigung Aller. Ein genialer, feinfühliger Kopf, sensitiv im
höchsten Grade, ein verweichlichter Stubenmensch, der für ritterliche
Thaten schwärmte, ein blasirter Geist von krankhaft gesteigertem exot-
ischem Gefühl und weicher, träumerischer Zerrlossenheit, ein Mann,
dessen überreizte Nerven nur vibrirten, wenn er am Tage schlief und
Nachts arbeitete, war er wie geschaffen zum geistigen Vater der ine-
cadenceq, jenes Geisteszustandes, dessen Wogen für Alle bemerkbar
erst heute Europa überfluthen.
So glänzend sein Anfang gewesen, so still wurde sein weiteres
Leben. Rossetti stellte seit jenem graziös sentimentalen Bildchen der
Verkündigung nur noch einmal 1856 öllentlich aus. Seitdem
hat das Publikum nichts mehr von seiner Malerei gesehen. Nur für
seine Freunde und die Freunde seiner Freunde schuf er seine Bilder.