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XLVI.
DAS
WESEN
NEUIDEALISMUS
einer um das Innerliche bemühten, einen eigentlichen Cultus der
plastischen Schönheit nicht mehr kennenden Zeit weit mehr zusagt,
als das ruhmrednerische Cinquecento mit seinen würdevollen Ge-
stalten, deren Gesten gewöhnlich ihr ganzer Ausdruck sind. Einigen
gelingt es, die entlehnten Formen sofort zu 'l'riigern eines neuen
Empfindungsgehaltes zu machen. Doch bei solchen, deren Eondsan
Modernität nicht stark genug ist, neuen Wein in die alten Schläuche
zu füllen. kann dieses Archaisiren leicht zu eklektischei" Unselbständig-
keit führen. (jourbets und Leibls Werke werden auf alle Zeiten, auch
die entferntesten, so lange sie vorhanden sind, eine Wirkung ausüben.
Die neueste Strömung ist geeignet, ein gewisses Kokettiren mit einer
sehr billigen, wenig Können voraussetzenden Genialität grosszuziehen.
NVie von den Impressionisten Viele in Vulgaritat und trockenen Re-
porterstil verfielen, so lieben die modernsten Durchschnittsnialer viel-
leicht allzu sehr eine bizarre Melancholie, suchen Ausdrücke, die
riithselhaft sein wollen, posiren mit Hinfiilliglteit, spielen neben den
Snob. Man ärgert sich oft über einen gesuchten Hautgout, der die
einfachsten Motive für den ästhetischen aufkräuselt.
Der gebleichte Gobelinton, den einzelne Führende angeschlagen, wird
von dem Tross verwässert und übertrieben; das Streben nach ein-
fachen Farbenltlangen und heraldischen Linien zog eine gewisse Richt-
ung in's Kunstgewferbliche gross. Das sind Gefahren, die jede über
die Natur hinausgehende Malerei mit sich bringt. Ebenso selten wie
unter tausend Schriftstellern ein echter Dichter, ist ein echter sldealista
unter tausend Künstlern. Und es ist leicht möglich, dass, wenn die
Strömung, die uns jetzt mnfluthet, vorübergerauscht ist, und statt
auf einen neuen Parnass vielleicht in die alten Geniäldegalerien ge-
führt hat, iiussert wenige von denen, die heute bewundert werden,
aufrecht stehen bleiben. Für die Mitlebenden aber wurden ihre Werke
einstweilen ein Labsal, weil sie einer Stimmung unserer Zeit, die nach
Ausdruck rang und deren Wünschen der Naturalismus allein nicht
genügt hatte, zur schönen bestrickentlen Erscheinung halfen.