XLVI.
DAS
WESEN
NEUIDEALISMUS
DES
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tireigensten monumentalsten Form, der Freske, kann atllein Gelegen-
heit bieten, die gewonnene Selbständigkeit in grossem Maassstabe zu
erproben Gelegenheit, auch die Gefühlsstimniting des Zeitalters
"weit volltöniger als im Tafelbiltl zum Ausdruck zu lwi'iiige11.
Bis zum Auftreten Manets war die decorative Malerei entweder
epigonenhaft, das heisst eine geschmackvolle Benutzung des Ueber-
kommenen, oder prosaisch eine trockene Didaktik gewesen, die
durch weitliitiiige Schilderung von Schirfbiiichen, Belagerungen, Mord-
thaten und Kämpfen die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zog.
Dann kam der Naturalismus auch hier zur Herrschaft. Das Streben
der Künstler ging ciahin, die Vorgänge des täglichen Lebens zu heroi-
siren, ihnen die höchsten Ehren des Pinsels zu weihen. In Frank-
reich wie in Deutschland traten Versuche hervor, die öffentlichen Ge-
bäude mit Scenen aus der Arbeiter- oder Kleinbürgerwelt zu bemalen.
Heute sind die Stoffe, die der Malerei zu grossen Darstellungen An-
regung geben, dieselben wie ehedem: die Religion. die Mythologie,
die Allegorie. Nur hat sie auf alle traditionellen Compositionen, auf
alle Sujets in banalem Sinne verzichtet. Sie überlässt die Sorge, über
den Fall "frojas oder Ninives oder die grossen Ereignisse der röm-
ischen Geschichte aufzukliireli, den Gelehrten. Statt den Verstand
zu beschäftigen und die Wissbegierde zu nähren, will sie nur Ge-
fühle erregen und zu zarten T riiuniereien laden. Statt mitten hinein-
zuführen in das derbe, arbeitsvolle Werktagslelwen, will sie darüber
erheben und feierliche, sonntägliche Stimmung wecken. Köstliche
Haine und blumige Auen, stille frohe Menschen darin, die sich in
seligem Nlüssiggang tummeln oder in sorgloser Beschaulichkeit der
Ruhe pflegen, Alles übergossen von silberiger Atmosphäre, von
leichten, duftigen Farben, die auf die Nerven wirken wie leise Musik
von ganz straff gespannten silbernen Saiten das sind die einßlchen
Elemente dieser neuen symbolisch-decorativen Malerei, die vielleicht
berufen ist, wie in den grossen Zeiten der Kunst, führend und nteg-
weisend einzugreifen. Denn es genügt nicht, dass unsere Künstler
den Begriff L'Art pour l'art wieder entdeckten. Es muss ihnen auch
die Möglichkeit gegeben sein, [mit den Fähigkeiten, die sie entwickelt
haben, etwas Nöthiges anzufangen. Ohne diese Basis bleibt ihre
Kunst bei allem Reichthum von Können und Begabung eine über-
flüssige, leere Kunst. Gerade das Gefühl zwecklosen Kraftaufwandes,
das die Besten haben mussten, hat vielfach einen Zug tiervöser Ueber-
reiztheit und Linfruchtbarer Atelierphantastik in das moderne Schztffen