Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

XLVI. 
DAS 
Wislsu 
NEUIDEALISMUS 
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ersteht. Wie die Phantasie aus der nüchternen XVirlclichkeit in ein 
wunderbares jenseits flüchtet, träumt das Auge andere _,subtilere 
oder intensivere Farben  als sie rings in unserer armen NVelt zu 
schauen. Dort werden die Naturformen nur als Material zum Aus- 
druck von Ideen, hier die Naturfa 1' ben nur als Mittel zu Farbenorgien 
oder SClWxYCYITIÜIIlIlgCH Stininiungstlichttingen verwendet. Die Einen 
schwelgen in Lichteliekten. in vollen brausenden Tönen, in allen 
erdenklichen überirdischen coloristischen Reizen. Die Andern deco- 
loriren, VCYlDCiLlCD jeden Glanz und alle Kraft des Tons, um als echte 
Decatlents nur noch in weichen gebleichten, feinschineckeriscli blassen, 
nehelhzilt verschwonnnenen Tönen zu baden. 
Cnr nous voulons 1a nuauce encore 
Pns 1a Couleur, ricn que 1d nunnce, 
Ln nuance seule Sauce 
Le röve au rövc et 1a flute nu cor. 
Der gemeinsame Grundzug ist, dass statt der Objectivitiit des 
Realismus die Wollust des Gefühls im Mittelpunkt steht, eine Kunst, 
die jenen inneren Schauder gewähre, den die complicirter und feiner 
gewordenen Nerven verlangen. 
Da der Griffel weit gelenkiger als der Pinsel dem Geist in's 
Revier des Phantastischen, triiumeriscli Miirchenliaften folgt, werden 
Radirting und Lithographie, bisher nur vereinzelt betrieben, plötzlich 
von tonangebender Bedeutung. Hier lassen auf kleinstem Raum sich 
die stärksten Empfindungen zusammenpressen, hier die kühnsten, 
durch die Malerei kaum darstellbaren Visionen verkörpern. Der 
ganze poetisirentle Charakter der Zeichnung, die die Dinge mehr 
als Erscheinungen denn als Körper gibt, die Möglichkeit, ohne ge- 
nau localisirten Hintergrund zu arbeiten, selbst die Beschriiiiktlng 
auf Schwarz und Weiss gewährt der Phantasie einen weit grösseren 
Spielraum. Was die Palette an bunter Farbe voraus hat, ersetzt der 
Grilfel durch die Unbeschriinktheit in der künstlerischen Darstellbar- 
keit von Licht und Schatten, die allein gestatten,  wie Dürer, 
Rembrandt und Goya zeigten  eine Welt, farbiger als die reale, 
eine Welt von Poesie und Mystik heraufzubeschwören. 
Aber auch die KunstHicher, die während der realistischen Periode 
in hoher Blüthe standen, machten unter de111 Einfluss der neuen An- 
schauungen einen Umwandlungsprozess durch. 
Die Landschaftsinalerei des vorhergehenden Jahrzehnts liebte die 
stille Intimität, genaue Wiedergabe alltäglicher Fleckchen Erde in
	        
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