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XLVI.
DAS
WESEN
NEUIDEALISMUS
DES
Andere finden Gehllen an dem zarten cntsagcnden Mysticismus des
Evangeliums. Neben christlich religiösen Neigungen finden sich solche
zu altasiatischen Begrilfcn undPhantasief0r111en. Allerlei occultistischc,
übersinnliche Schwärlnereien bilden sich Formeln und suchen Befriedi-
des Mittelalters, die Riithsel der Halluzinirten,
Lehren aus der ersten Heinmth der Mensch-
gung. Die Zaubereien
die wunderlichen alten
heit reizen die Maler unablässig. Aber auch die Sllgßl] des Ritter-
thums geben Anregung, die phantastische," für die Augen glänzende
Welt, wo Liebe, Krieg, Abenteuer, Edelmuth, Askese sich xiereinten.
Schöne Menschen in reichen Gewändern handeln und wandeln in
nmrmornen Palästen und goldenen Hallen; stille Madouueu ruhen auf
blühenden Wiesen und eniplinden ihr Mutterglück. Man lauscht wieder
hexxrundernd auf die mystischen Naturlaute des Volksliedes, auf die
halberstorbenen Klänge versunkener reizender Welten, vertieft sich in
die bltithenunnvobenen alten Legenden und Mythen. Griechenland
sogar, das durch den Classicismus coinproniittirte Hellas, ist wieder
das Miirchenlnnd des Geistes, die Romantik des Hellenisinus ein wesent-
licher
Bestandthcil
HCLICSICI]
Kunst.
Dieser
Sehnsucht
nach crdenfcrncn Schönhcitsxvcltcn
ist das Vcr
langen nach neuen coloristischen Genüssen verbunden. Auch in ihrer
Farbenanschauung bewegte sich die moderne Malerei in steil aufsteigen-
der Linie. Zunächst ganz unmalerisch, gztb sie grossartige Illustrationen
zu moderner Gelehrsamkeit, die nur durch ihren gcdankenhaften Inhalt
fesseln. Dann befreite sie sich aus dem Dienste der Wissenschaft und
lernte die Farbe als ihr eigenes Ausdrucksmittel kennen. Langsam be-
gann das Sehvermögen an den alten Meistern sich zu schulen, dann,
nachdem das Galeriestuditim beendet, sich auch vom gelben Firniss-
ton zu befreien, sich aufzufrischen und zu hiinten an der Natur.
Es erfolgte eine Revision der gemalten Natur mit Zugrundlegtmg
der wirklichen. Und nun, nachdem die Hellmalerei ein differen-
zirteres Farbensehen gelehrt, nachdem man alle Kraft eingesetzt, den
schwierigsten Elementen der Erscheinungswelt. Luft, Licht und Farbe
bis zur iiussersten YVirklicltkeitsnachahmung beizukommen, vollzieht
sich der letzte entscheidendste Schritt: man geht von der mehr ob-
jectiven Wiedergabe des NZIILITGiIILlFLICl-IS zur freien, rein dichterisch
symphonischen Behandlung der Farben über. Diese bergen sich
nicht mehr scheu unter einer braunen Kruste, auch den grauen
Schleier Werfen sie ab und treten mit eigenen Ansprüchen als selb-
ständige YVese-n hervor. Ein neuer, specifisch moderner Colorismus