XLVI.
DAS
WESEN
NEUIDEALISMUS
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haupt auf die sclbstherrliche, zilleinschzilfentie Persönlichkeit zu
schwören. uDenn was ist Wirklichkeit? Wir wissen es nicht. Wir
kennen nur unsere Vorstellungen, und sind die Dinge, die in der
Phantasie des echten Künstlers leben, weniger wirklich als die Ge-
stalten vor unserm Blick? Nur darum handelt es sich, dass sie
glaubhaft herausgestaltet, wie durch Stiggestion auf Andere über-
tragen werden, und eine solche neue Welt aus sich herauszuschaffen
wird nur Eihig sein, wer vorher ein Herrscher über die Natur ge-
worden. Erst die errungene technische Meisterschaft gibt auch dem
Genie die Mittel, zu zeigen, was es seelisch kann. Diese Vorbe-
dingung schien jetzt erfüllt zu sein. Zolas documents humains
konnten subjectiv werden: nicht mehr Abbilder einer äiusserlichen
NVirklichkeit, sondern Zeugnisse für das Seelenleben ihrer Erzeuger.
Der Naturalismus ward nicht mehr als Ziel, sondern alsydie gute
bgtrachtet, sich gufztischwingen in efdferne Reiche phan-
tastischer Erfindungen. Eine Entwicklung, die sich schon zomal in
der Welt vollzog: dieselbe, die Holland beim Auftreten Rembrandts
durchmachte.
Der Historiker ist nun insofern stets Fälscher der Wahrheit, als
er durch rein iiusserliche Gründe der wUCbCTSiChtliChkCitK halber
gezwungen ist, Grenzpfiihle aufzurichten, während in Wirklichkeit
zum Heile der Kunst die Perioden unmerklich ineinanderfliessen,
die verschiedensten Strömungen gleichberechtigt sich kreuzen. Es wäre
traurig, wenn der wNCUitlCEIliSUILISQ zünftig, das theoretische Schlag-
wort von der Ueberwindting des Naturalismus auch von praktischer
Bedeutung würde. Ein kräftiger Naturalismus ist das Alpha und
Omega aller Kunst, ohne ihn gerath sie in schwächlich krankhafte
Verirrungen. Er wird auch bei den metaphysischen Neigungen der
Gegenwart stets das Bindeglied bilden müssen zwischen Phantasie
und Wirklichkeit. Nur so lange das naturalistische Capital nicht an-
gegriffen, werden dessen Zinsen einigen Wenigen erfolgreiche Reisen
in luftigere überirdische Regionen gestatten.
Die Realisten hatten das moderne Leben gemalt, die Neuideal-
isten, sie ergänzend, malen das moderne Gefühl. Die Phantastik
schüttelt ihre glänzenden Blüthen in die Stille des Alltagslebens. je
nach der Anlage ihres T eniperamentes haben die Einen Sehnsucht
nach Schwindscher Miirchenpoesie, nach Sagen und Traumgebilden:
Einmal lasst mich athmen wieder
In dem goldnen Märchenwald,