XLVI.
DAS
Wxasxzw
NEUIDEALISMUS
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Gliitibigkeit Platz. Paul Bourget ergibt sich einer Art gesteigerten
Ghristenthums, das er sla religion de la soutfrance ltumainee nennt.
Leon Henniqtie verkündet ein wspiritistisches Evangeliume, dessen
Hauptinhalt die alte Lehre von der Seelenwanderung bildet.
Auf das Gebiet des Dramas wurden die neuen Losungen zuerst
durch Maeterlinck und die andern belgischen Symbolisten übertragen.
Bald daraufi kamen in Paris jene heiligen Legenden und frommen
Mysterien in Schwung, in denen Sarah Bernhardt ihre letzten
Triumphe feierte. Man hört die Geschichte der frommen Griseldis
mit Spannung und vergiesst dlhriinen der Rührung über das Schicksal
der heiligen Ciicilie.
Selbst in der Wissenschaft zeigen sich Symptome der Reaction
gegen den positivistischen Geist, der sie vorher beherrschte. Nachdem
man Schubfacher eingerichtet, Ihatsachen aufgespeichert und Einzel-
heiten bestätigt. tritt an die Stelle der trockenen Aufzählungen und
der pedantischen papiernen Gelehrsamkeit eine Richtung auf Sub-
jectivitiit und Feinheit. Auf die Methodiker und nüchternen Prosaiker
folgen die Künstler und Psychologen, die nur sich selbst, ihr eigenes
lebhaftes 'I'e1nperan1ent in's Feld führen. In England wird nicht mehr
Macatllayt, sondern Garlyle als der grösste Historiker betrachtet. Frank-
reich, das Vaterland Comtes, geriith in den Bann deutscher Philosophie,
und Deutschland fangt an, für den siegesstolzen Individualismus
Friedrich Nietzsches zu schwärmen. Der Cultus der grossen Persön-
lichkeit wächst. Charakter, Eigenart werden die schlagendsten
Schlagwörter:
Die Malerei kann weit schwieriger als die Literatur einem solchen
geistigen Gährungsprocess folgen. Während das Wort gelenkig den
feinsten Windungen der Phantasie sich anschmiegt, auch in den ent-
legensten Regionen heimisch wird, selbst den hochHiegendsten Ge-
danken, den innerlichsteii Empfindungen gefügig Ausdruck verleiht,
muss die Malerei übersetzen. umformen, neuformen. Sie soll den
fremd-artigen Eindrücken, die auf sie einstürmen, das sinnliche Ge-
wand machen aber um mit solchem Gewande bekleidet zu werden,
müssen die Ideen erst feste Gestalt gewonnen haben. Der Inhalt
einer Zeit muss schon zu einer gewissen Deutlichkeit, zu bestimmten
Zuständen ausgeprägt sein, bevor die Kunst ihn in ein Gebilde fassen
kann. Deshalb Hüchtete sie im Beginne des jahrhunderts hülfe-
suchend in die Vergangenheit, weil die Gegenwart in ihrem tinfertigen
Schwanken zwischen alter und neuer Kultur ihr keine feste, greif-