XLVI.
DAS W:
EUIDEALISMUS
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Mag diese Ausstellung nun immerhin eine bizarre Geschmacks-
verirrting reklamesüclitiger Debutanten gewesen sein, im Kern ihrer
Ersclieintmg bildete sie den Ausfluss einer bedeutsamen Geistesricht-
ting, deren ernste Symptome sich schon seit mehreren Jahren be-
merkbar machten. Sie bestätigte, indem sie in's Paradoxe ging,
gleichsam ofliciell den Uebergang der Kunst vom Realismus in's
Transscendentale, das Einlenken in jene aristokratisch idealistische
Strömung, die die Literatur längst vorher überHuthet hatte.
Der Realismus war ein Kind jener Periode gewesen, die auch
die Philosophie Comtes entstehen sah. Das Heer seiner Banner-
triiger war ein positives, nüchternes, episch nicht lyrisch gestimmtes
Geschlecht. Von allen Gebieten des Geisteslebens waren die
blühendsten diejenigen, die am meisten mit klarem Auge attsktunen
und am wenigsten vom Gefühl zu fordern hatten. Wie mit Augier,
Dumas und Sardou die Analyse der modernen Sitten das Theater
beherrschte, so kehrte der Roman, nachdem er für die Romantiker
ein Vorwand für lyrische Ergüsse und Eirbenglühende Schilder-
ungen gewesen, unter den Händen Balzacs, Flauberts und Zolas zu
seiner wirklichen Rolle, der Sittenmalerei, zurück. Es erstand in
Frankreich die wunderbarste Plejade von Bildhauern, die seit der
Renaissance erschienen. Der Positivismus in Kritik und Wissen-
schaft entfaltete stolzer als je sein Banner: Comte, Littre, Taine,
Sainte-Beuve waren thätig. Alle metaphysischen Beschaftigtmgen
waren als tmwissenschztftlich zurückgedrängt. Der Mythologie und
Religion gegenüber grill man mit Olienbach und Renan zur Parodie
und Skepsis. Auch keine Leidenschaften kannte man mehr. Taine
und Zola verschanzen sich hinter einer Mauer von Objectivitiit und
verstatten selten einen Einblick in ihr Inneres. Der Mensch ist
ihnen ein Product wie jedes andere Ding und hat als solches das
Recht so zu sein wie er ist. Die Wissenschaft sollte die Moral,
die Menschenliebe, die Religion ersetzen. Und wie die Wissenschaft
leidenschaftslos der Natur gegenübersteht, will die Malerei, ebenso
leidenschaftslos, sie mit den Augen erobern.
Wohin man in den Ausstellungen blickte, überall pulsirte das
frische Leben der eigenen Zeit, das allmählich in allen seinen Phasen
zum weiten Beobachtungsfeld des Künstlers geworden. An die Stelle
künstlicher Wiederbelebungsverstiche vergangener Culturperioden ist
allenthalben die Schilderung des modernen Menschen getreten. Nztch
einer langen Periode der Weltentfremdung kehrte die Malerei endlich