XLVI.
Das
Wesen
des
Neuidealismus.
ÜNSYLER, du bist Priester: die Kunst ist das grosse Mysterium,
k und wenn dein Bemühen zu einem Meisterwerk führt, so steigt
U ein Strahl des Göttlichen wie auf einen Altar herab. O wahr-
hafte Gegenwart der Gottheit, die du uns entgegenletichtest aus den
erhabenen Namen: Vinei, Michel-Angelo, Beethoven, Wagner.
Künstler, du bist König: die Kunst ist das wahre Königreich.
Wenn deine Hand eine vollkommene Linie geschrieben, steigen die
Cherubime selbst vom Himmel und sehen sich darin wie in einem
Spiegel.
Durchgeistigte Zeichnung, seelenvollc Linie, gefühlte Form, du
gibst unsern Träumen Körper: Samothrakc und Sanct Johannes, Sixtina
und Cenacolo, Parsifal, Neunte Symphonie, Notre-Dzunc.
Künstler, du bist Magier: die Kunst ist das grosse ÄVunder und
beweist unsere Unsterblichkeit. Wer zweifelt noch? Giotto hat die
XVuntlmale des heil. Franz berührt, die Jungfrau erschien dem Fra
Angelico, und Rembrantlt hat die Auferwecku11g des Lazarus be-
wiesen. Absolute hViderlegnng aller pedantischen Spitzlindiglteiten:
Man zweifelt an Moses, da kommt Michelangelo, n1an verkennt
Jesus, da kommt Leonardo. Man profanirt Alles, aber die unver-
änderliche heilige Kunst führt fort zu beten. O unsagbare, hoch-
heitere Frhabenheit, innner leuchtender heiliger Graal, Monstranz
und Reliqnie, unbesiegtes Banner, allmächtige Kunst, Kunst-Gott,
ich verehre dich auf den Knieen, du letzter Strahl von oben, der
auf unsere Fiiulniss fallt. Stunnnsinnige Könige, die ihre Kronen
verloren, enden auf dem Pflaster der Städte, wo ihr Stamm einst
geherrscht. Ein vertiunnnter Adel lebt nur'n0ch im Pferdestall.
meineitlige Priester besclnnutzen ihr Kleid. Alles ist im Wanken.
Alles zu Ende, -die Decadencc lilafit und macht den Felsen zittern,
auf dem Jesus seine Kirche erbaute. Weine, Gregor VII, gigantischer
Papst, du, der Alles gerettet hätte. weine im Himmel über deine der