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XLV.
DEUTSCHLAND
Goethe vor IOO Jahren nach Ablauf der sSturm- und Drangperiodea
feststellte, vdass man neben einer freieren Form auch einen reicheren,
verschiedenartigeren Inhalt erreicht hatte und keinen Gegenstand der
breiten Natur als unkünstlerisch mehr ausschlossa. Natur ist überall,
Stimmung ist überall, Licht und Farbe sind überall. wDiC Kunst
steckt in der Natur, wer sie heraus kann reissen, der hat siea.
Während Liebermann von Anfang an derselbe war, hat Slmrlrina,
der zweite in Berlin lebende Vertreter der neuen Kunst, sehr viele
Wandlungen durchgemacht. Einige Monate vor Liebermann am
24. Februar 1849 in Berlin geboren, begann er mit Bildern aus dem
Leben des grossen Friedrich, in denen er streng den von Menzel
eingeschlagenen Weg weiter ging. 1878 entsetzte er durch sein wEr-
wachen eines Scheintodtenk, ein mit grossem anatomischen Können
gemaltes Spektakelstück, und lenkte 188; in Paris über Kostüm-
malerei und rohen Naturalismus frisch in den Impressionismus hinein.
Es entstanden dort viele grössere und kleinere Bilder, die das Leben
auf den "Boulevards schilderten, Blicke auf Paris vom Atelier aus,
Scenen aus dem Leben hinter den Coulissen u. dgl. Er malte die
kokette Grazie der Pariserin wie die Schwierfiilliglteit normannische-r
Bäuerinnen, Schornsteinfeger, die von der Arbeit kommen, Balleteusen,
die sich zmkleiden, oder alte Blousemniiuner, die mit Tragkorb und
Holzschuhen an ihr Tagwerk gehen. Die altern Bilder waren noch
ölig, aber in den spatern (Fischauction in Blankenlverge, Seemanns
Leid u. dgl.) gelang es ihm meisterhaft, den silberig duftigen Ton
der Atmosphäre zu fassen. Dann als die französische Malerei vom
Pleinair in das Studium künstlicher Lichteffekte einlenkte, ging auch
Skarbina zu schwierigeren Beleuchtungsaufgaben über. Nament-
lich die originellen Zxxiielichtstudien, mit denen Besnard seit einigen
Jahren Aufsehen erregte, veranlassten ihn zu entzückenden kleinen
Bildern, in denen er die Wirkung farbig Lampen mit
feiner malerischer Empfindung festhielt. Auch die Aquarelltechnik,
die besser als das langsam reifende Oelbild den Eindruck bunter,
wechselnder Stimmungen wiederzugeben gestattet, hat er sich zu
gefügigem Ausdrucksmittel gemacht.
Skarbina ist vielseitig wie das moderne Leben einer der Vir.
tuosen, die die grossstiidtische Kultur erzeugt. Seine YVerke haben
vielleicht weniger Persönliches, weniger innerliche Ueberzeugungskraft
als die Liebermanns man hat das Gefühl, dass er, wenn morgen
etwas Entgegengesetztes actuell würde, auch in diesem neuen Strome